02 April 2025

The Pioneer - Brandmauer wird zum CDU-Gefängnis

Business Class Edition
Brandmauer wird zum CDU-Gefängnis
Guten Morgen,
erinnern Sie sich noch an diesen kernigen und oft derben Politiker?
"Ich bedauere, dass es mir mein hohes Staatsamt verbietet, den Kerlen selbst eins auf die Fresse zu hauen."

Oder, auch sehr deftig:
                        "Früher auf dem Bau hat man solche Dinge mit der Dachlatte erledigt".
Genau. Das war der Sozialdemokrat Holger Börner, der es als Betonfacharbeiter in die SPD und von dort in die hohe Politik geschafft hatte. Er war Juso-Chef, Bundesgeschäftsführer (unter Brandt) und von 1976 bis 1987 Ministerpräsident von Hessen.
Er liebte die Ironie („Ich heiße Börner, wiege 250 Pfund und, wenn ich Zorn habe, das Doppelte.“), aber er hasste die Grünen – zumindest zunächst:                   
                    "Ich werde nicht mit Leuten koalieren, die den Staat von innen aushöhlen wollen".
Anarchisten, Kommunisten und auch ganz normale Spinner, die es damals zuhauf bei den Grünen gab, hielten ihn davon ab, das zu sehen, was es damals auch schon bei den Grünen gab – das Vernünftige, das Moderne und zuweilen auch das Verträumt-Romantische.
Die Machtverhältnisse (sprich der Verlust seiner SPD-Mehrheit in Hessen) zwangen ihn und die gesamte SPD schließlich zum zweiten Blick. Über informelle Gesprächskreise kam es zur Tolerierung und schließlich zur ersten rot-grünen Koalition in Deutschland. Holger Börner, der Geläuterte, drängt selbst auf die formelle Regierungsbeteiligung der Öko-Partei:
     "Sie müssen mitregieren und nicht nur die Rosinen aus dem Kuchen picken, sondern auch die Krusten mitessen".
Wiederholt sich die Geschichte? Ist Blau das neue Grün? Steht der CDU mit der AfD und ihrer Mischung aus konservativen Unternehmern, bürgerlichen Freigeistern und einem harten Kern von Rechtsextremen eine ähnliche Integrationsleistung bevor, wie sie Dachlatten-Börner damals vollbrachte?
Die kurze Antwort lautet: Nein. Die etwas ausführlichere lautet: Ja, vielleicht.
Noch ist unklar, wie braun der Kern der AfD wirklich ist und ob dieser Kern sich – wie damals die Anarchisten, Maoisten, Trotzkisten und von der DDR gesponsorten Kommunisten bei den Grünen – knacken und abspalten lässt. Bisher jedenfalls hat er sich eher verhärtet. Und kleiner geworden ist er auch nicht.

Die SPD ist diesmal fein raus. Lars Klingbeil muss nicht den Börner machen. Er und seine Freunde können diese Integrationsleistung auf der rechten Seite des Spektrums nicht leisten.

Jetzt ist die CDU dran, zumal die AfD ihr dicht auf den Fersen ist.

Von den Christdemokraten muss aus vier Gründen erwartet werden, dass sie es wenigstens versuchen. Es geht dabei auch um Hilfe zur Selbsthilfe.

#1 Druck führt zur Verhärtung

Die harte Haltung von Armin Laschet („Die Brandmauer steht. Unumstößlich. Mit der AfD gibt es keine Kommunikation, keine Kooperation, keine Koordination und erst recht keine Koalition.“) klingt zwar moralisch hochwertig, ist aber von nur geringem Gebrauchswert.

Auch wenn die CDU-Funktionäre in Ländern und Kommunen sich (noch) daran halten, die Wähler tun es nicht. Die hopsen millionenfach über die Brandmauer hinweg. Die Dämonisierung der AfD scheint sie nicht zu stören, sondern zu stimulieren. Gestern meldete Forsa, dass der Vorsprung der Union vor der AfD auf nur noch einen Prozentpunkt geschmolzen ist.

#2 Dämonisierung funktioniert – aber nur in den USA

In den USA funktioniert das Konzept von Diffamierung und Dämonisierung wahltaktisch hervorragend. Es gibt für die Demokraten keinen einzigen Grund, Trump die Hand zu reichen. Und es gibt für Trump keinen einzigen Grund, auf die Demokraten zuzugehen. Die USA besitzen ein Mehrheitswahlrecht, in dem gilt: the winner takes it all.

Der Wahlkampf besteht im Kern aus einer Polarisierung, die zur Aktivierung der Massen führt. Der Kompromiss liegt den Beteiligten fern, weil es ja auch nach dem Wahltag keine Koalitionsregierung gibt.

In der Bundesrepublik mit seinem Verhältniswahlrecht liegen die Dinge anders. Hier hängt die Stärke eines Politikers von der Anschlussfähigkeit seiner Partei ab. Dämonisierung macht einsam.

Helmut Kohl lag 1976 deutlich vor Helmut Schmidt. Aber ihm fehlte ein Koalitionspartner. So blieb er Oppositionsführer.
Franz Josef Strauß holte 1980 mit der Union mehr Stimmen als Helmut Schmidt und wurde wieder nicht Kanzler. Er war nicht anschlussfähig.
Kurt Georg Kiesinger ging 1969 vor Willy Brandt ins Ziel. Aber ihm fehlte die FDP zum Regieren. Der neue Kanzler hieß Brandt.
Edmund Stoiber lag 2002 gleichauf mit Gerhard Schröder. Beide holten exakt 38,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Pech für Stoiber: Schröder hatte mit den Grünen den stärkeren Partner und kam so auf die notwendige Mehrheit im Parlament.

#3 Leben in der Gefangenschaft der SPD

Das Wechselspiel der Antagonisten ist mit dem Konzept der Brandmauer außer Kraft gesetzt worden. De facto gibt es jetzt keine Regierungsmehrheit mehr ohne Grüne oder Sozialdemokraten.

Friedrich Merz (und jeder, der danach kommt) befindet sich im Würgegriff seines weltanschaulichen Antagonisten. Der bundesdeutsche Parlamentarismus würde – wenn es bei der Brandmauer bleibt – nie wieder eine Richtungsentscheidung ermöglichen, nur noch den Ämtertausch.

Das aber bedeutet den kulturellen Tod der CDU. In der Koalition mit der SPD, das zeigt sich durch die jetzt geplante Aufnahme von einer Billion Euro Schulden, wird den Konservativen das Konservative ausgetrieben. Merz wird zu dem, was die Amerikaner „a man without balls“ nennen. Die CDU wäre fortan eine Partei ohne Grandezza.

#4 Man kann nicht nicht kommunizieren

Der Glaube, eine Kontaktsperre zu den Rechtspopulisten helfe der Union kommunikativ, ist ein Irrglaube. Wer die Kommunikation einstellt, überlässt sie anderen. Der alte Satz des Philosophen und Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick – „Man kann nicht nicht kommunizieren“ – gilt auch für Friedrich Merz und seine Mannschaft.

Hinter der Brandmauer ist längst ein eigenes Biotop der Meinungsbildung entstanden, das davon profitiert, dass dieses Biotop ein Geschlossenes bleibt. Ohne den Einfluss fremder Personen, Argumente und Ideen entwickelt sich hier eine Kultur der Demokratieverachtung. Es gilt das Motto: Die Etablierten verachten uns, also verachten wir zurück.

Der durchtrennte Gesprächsfaden, den die CDU für eine Errungenschaft hält, lässt sich schwerlich als Symbol der Demokratie verkaufen. Zumal Extremisten diese durchtrennten Gesprächsfäden längst mit ihren Gehirnen (und Medien) verknotet haben.

Dabei ist ja schon das Wort „AfD-Wähler“ eine Fragwürdigkeit sondergleichen, weil es eine Konsistenz vortäuscht, die es so nicht gibt. Viele von diesen Wählern wollen nur, dass die bürgerliche Politik wieder so wird, wie sie einmal war. Sie sehnen sich nicht nach Adolf Hitler, sondern nach Helmut Kohl.

Fazit: Die Frankfurter Zeitung schrieb nach den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 einen Satz, den die heutige CDU auch für sich annehmen sollte:

Die meisten Wähler, denen die extremen Parteien ihren Mandatzuwachs verdanken, sind gar nicht radikal, nur ohne Glauben an das Alte.

Das aber bedeutet: Die Merz-CDU ist in der Bringschuld. Die Brandmauer muss nicht gleich eingerissen, aber sie muss für diese vom Glauben Abgefallenen geöffnet werden. Sonst ähnelt diese Mauer einer Gefängnismauer, aber nicht für Höcke, sondern für Merz.

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