17 April 2025

Spahns Vorschlag zur AfD-Normalisierung - SPD und Linke ziehen die Union wieder an der Brandmauer-Kandare (Cicero)

In den Koalitionsverhandlungen hat sich die 
CDU von der SPD eine Anti-AfD-Klausel aufzwingen lassen. Diese Klausel verbietet der Union vertraglich jede Form der Kooperation, Annäherung, Absprache mit der AfD auf allen politischen Ebenen unseres Landes. Für seine Kanzlerschaft hat Merz die strategische Souveränität der Partei der totalen Brandmauer unterworfen, die Lars Klingbeil auch noch vertraglich gegen die CDU durchsetzen darf. Was Spahn unten an Normalisierung vorschlägt, ist der Union laut Koalitionsvertrag geradezu verboten. Diese Klausel ist ein törichter Ausdruck der Selbstaufgabe, nur um an die Macht zu gelangen, schreibt Julian Reichelt auf NIUS zum Thema
Spahns Vorschlag zur AfD-Normalisierung -
SPD und Linke ziehen die Union wieder an der Brandmauer-Kandare (Cicero)
SPD und Linke rüffeln Jens Spahn, weil er den Umgang mit der AfD normalisieren will. Und in der Union offenbart sich umgehend wieder Furcht vor den Wächtern der Brandmauer. Deren fatale Wirkung wird immer offensichtlicher.
VON FERDINAND KNAUSS am 16. April 2025 5 min
In der SPD, in der Linkspartei und bei den Grünen weiß man nicht erst seit den Koalitionsverhandlungen, dass die Union auch unter der Führung von Friedrich Merz eine zutiefst verunsicherte und wenig selbstbewusste Partei ist. Die SPD hat es mit einem Bundeskanzler in spe zu tun, der zentrale Positionen wie die Schuldenbremse entweder schon vor dem Zusammentritt des neuen Bundestages abräumte, und andere, wie die versprochene Steuersenkung bei Caren Miosga und anderswo schon öffentlich („man soll niemals nie sagen“) unter Vorbehalt stellt
Das Erfahrungswissen, dass die Merz-Partei sofort furchtsam zittert, wenn man ihr moralische Vorhaltungen macht, prägt nun sicher auch die Attacke von Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, gegen die jüngsten Aussagen des CDU-Parlamentariers Jens Spahn über eine Normalisierung des Umgangs mit der AfD im Bundestag. Mast fährt im Tagesspiegel-Interview die bewährten Brandmauer-Geschütze auf: „Die AfD ist keine Partei wie jede andere“, behauptet sie und verkündet mit höchstem Pathos: „Wir werden unsere demokratischen Institutionen – allen voran unser Parlament – mit aller Entschlossenheit schützen.“ Mast tut also so, als ginge es beim Ausschluss der AfD von organisatorischen Fragen des parlamentarischen Alltags um die Verteidigung der Demokratie.
Die bedrohliche Botschaft der Brandmauer-Wächter
Dahinter steht entweder verblendete Selbstüberhöhung oder – wahrscheinlicher – machtbewusster Zynismus. Denn das eigentliche Wirkungsziel dieses Demokratie-Pathos ist nicht die AfD, sondern die Union. Die Botschaft lautet: Wage es nicht, Union, auch nur zu rütteln an der Kandare, mit der wir dich durch die Koalitionsverhandlungen und die kommenden rot-schwarzen Regierungsjahre führen! Darum, nämlich um die Machtverhältnisse in der Koalition und in Deutschland insgesamt, geht es den Brandmauer-Wächtern in allen Parteien. 

Wessen Interessen außerdem durch die AfD-Brandmauer geschützt werden, machte die neue Jeanne d’Arc der Linken, Heidi Reichinnek, klar, indem sie sofort in die Bresche sprang, die Spahn vermeintlich geöffnet hatte. „Das sind Demokratiefeinde, die zumindest in Teilen gesichert rechtsextrem sind“, verkündete die Chefin der umbenannten Mauermörderpartei SED. „Einer Partei, die die Demokratie von innen heraus zerstören will, werden wir ganz sicher nicht den Teppich ausrollen.“

Eine selbstbewusste Union, die Partei von Helmut Kohl, hätte sich solche Belehrungen ausgerechnet von der äußersten linken Flanke verbeten. Sie hätte zum Beispiel auf die Aktivitäten der Linke-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel in der gewalttätigen Linksextremisten-Szene von Leipzig-Connewitz hingewiesen. Wenn Reichinnek wirklich „die Demokratie von innen heraus“ schützen wollte, hätte sie dabei in den eigenen Reihen genug zu tun. 

Kiesewetters Unzeit und der Koalitionsvertrag 

Aber die CDU ist eben keine selbstbewusste, sondern eine Partei ohne inneren Halt, weswegen sie buchstäblich zu zittern anfängt, wenn man ihr eine Abweichung von dem vorwirft, was Grüne, Sozialdemokraten  und Linkspartei als „unsere Demokratie“ festgelegt haben. Und so sprang der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter eben nicht seinem Parteifreund Spahn zur Seite, sondern fiel ihm in zwei Interviews in den Rücken: Die Debatte komme zur Unzeit. „Wir haben noch keinen unterschriebenen Koalitionsvertrag.“ Aus solcher Formulierung spricht die reine Angst, dass die SPD-Basis vielleicht doch noch die Koalition und damit Merzens Kanzlerwahl ablehnen könnte.

Also unterwirft sich Kiesewetter der Brandmauer-Sprachregelung: Die AfD sei keine normale Partei, die AfD-Abgeordneten gehörten nicht ins Parlamentarische Kontrollgremium, das die Nachrichtendienste kontrolliert, und „genauso wenig ins Vertrauensgremium, wo es um die Haushalte geht. Und dann ist jeder Abgeordnete frei, ob er jemanden von der AfD in seinem Ausschuss zum Vorsitzenden wählt oder nicht.“ 

Letzteres ist vermutlich eher als Warnung an potentielle Abweichler in den eigenen Reihen zu verstehen. Ebenso wie die öffentliche Schulmeisterei gegen Spahn, der habe sich bestimmt nur Gedanken gemacht (will wohl sagen: sollte sich nur solche Gedanken machen), wie man mit Bürgerinnen und Bürgern umgehe, die die AfD aus Protest gewählt hätten.

Politische Aussichten von der Brandmauer 

In der CDU steht die kurzfristige Gier, nun ganz schnell und ungestört ins Kanzleramt und an andere politische Fleischtöpfe vorzudringen, gegen die lang- oder vielleicht angesichts der jüngsten Umfragen auch schon mittelfristige Gefahr, an der Brandmauer buchstäblich zerdrückt zu werden, wenn diese immer weiter nach links verschoben wird und immer größere Teile der Deutschen aus reiner Verzweiflung darüber zur AfD überlaufen. 

Spahn hat diese Gefahr für seine Partei ganz offenkundig erkannt. Und der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß auch, der Spahn unterstützt. Der habe „völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass man die AfD nicht mit Geschäftsordnungsdebatten wieder unter 20 Prozent bekommen kann, sondern nur mit inhaltlichen Auseinandersetzungen“, sagte Ploß im Tagesspiegel.

Unionspolitiker wie Kiesewetter scheinen nicht zu begreifen: Ihre Wähler freuen sich im Gegensatz zu ihnen selbst nicht bedingungslos über einen CDU-Kanzler. Sie haben die Union gewählt, damit diese ihre Interessen, zum Beispiel Steuersenkungen und vor allem eine grundlegende Migrationswende, durchsetzt. Je mehr sie den berechtigten Eindruck gewinnen, dass es Merz und weiten Teilen der Union nur um die Machtpositionen geht und sie ihre Interessen bedenkenlos auf dem linken Altar der Brandmauer opfern, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie der Union künftig die Treue halten.  

Je länger und bereitwilliger sich die Union an die Brandmauer-Kandare der SPD nehmen lässt, desto mehr zwingt sie ihre verzweifelten Wähler geradezu in die Arme der AfD. Und desto dramatischer wird dann in nicht mehr allzu ferner Zukunft die parteipolitische Krise (zusätzlich zu all den anderen Krisen, die ungelöst vor sich hin wachsen) durch den schieren Druck noch größerer AfD-Wahlerfolge. Oder will man eines Tages vielleicht ganze Bundesländer einmauern?

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