Erste grüne Vizepräsidentin wurde Antje Vollmer
Helmut Kohl konnte sich noch Jahre später über diesen Fehler aufregen. So hätten es die Grünen, allen voran Fischer, leicht gehabt, die Redner mit Zwischenrufen ständig zu stören, was sich auch im Fernsehen zugunsten der Grünen ausgewirkt habe. Kohl war sogar überzeugt, ohne diese strategische Position hätte Fischer nicht so schnell einen so hohen Bekanntheitsgrad erreichen können.
So großzügig wie bei der
Platzzuweisung waren die „etablierten“ Parteien bei der Besetzung des
Parlamentspräsidiums nicht. Bis 1994 war in der Geschäftsordnung des
Bundestags nicht festgelegt, dass jede Fraktion „durch mindestens einen
Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten“ sein
soll – sofern dieser die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages erhält. Bis dahin war jeweils zu Beginn der
Legislaturperiode ausgehandelt worden, wer welche Positionen besetzen
durfte. Für die Grünen ließen CDU/CSU und SPD im Präsidium des
Bundestags nie einen Platz frei – weder 1983 noch 1987 noch 1990.
Das änderte sich erst mit der Neufassung der Geschäftsordnung 1994. Auch hier hatte Wolfgang Schäuble, inzwischen zum Fraktionsvorsitzenden aufgestiegen, seine Finger im Spiel. Die Grünen waren drittstärkste Fraktion geworden und erhoben abermals Anspruch auf einen Vizepräsidenten-Posten. Die SPD war strikt dagegen. So setzten Union und Grüne gemeinsam die neue Geschäftsordnung durch – zum großen Ärger der SPD. Erste grüne Vizepräsidentin wurde Antje Vollmer und füllte das Amt elf Jahre lang, so Schäuble, „mit Umsicht und Würde“ aus.
Schäuble verfolgte gegenüber den Grünen zunehmend einen Kurs der „Normalisierung und Entdramatisierung“
Schäuble,
der im Gegensatz zu Helmut Kohl nicht viel vom Denken in politischen
Lagern – hier Schwarz-Gelb, dort Rot-Grün – hielt, verfolgte gegenüber
den lange Zeit ausgegrenzten Grünen zunehmend einen Kurs der
„Normalisierung und Entdramatisierung“, wie er rückblickend schrieb. Er
ebnete ihnen den Weg in das Parlamentarische Kontrollgremium zur
Überwachung der Geheimdienste und demonstrierte so im Gegensatz zur SPD
„staatspolitische Gelassenheit“. Schäuble im Rückblick: „Jedenfalls
glaubte ich nicht, dass man den Grünen als normaler Oppositionspartei
den Zugang zu diesen Gremien verweigern sollte.“ Dass die Mitwirkung in
demokratischen Institutionen die Grünen verändern würde, hatte Schäuble
nach eigener Darstellung vorausgesehen.
Ob Schäuble wirklich so weitsichtig war, wie er sich das – altersmilde –
selbst bescheinigt hat, sei dahingestellt. Unstrittig ist jedoch, dass
die CDU gegenüber den „undemokratischen“ Grünen mit ihrem ungeklärten
Verhältnis zur Gewalt zunächst ebenso aufgetreten ist wie 30 Jahre
später gegenüber der von Anfang an rechtslastigen, inzwischen in Teilen
rechtsextremen AfD. In beiden Fällen hat die Ausgrenzung die neuen
Wettbewerber nicht klein halten oder gar ausschalten können. Ungeachtet
vorenthaltener Positionen mancher Geschäftsordnungstricks zu ihren
Lasten haben die beiden neuen Parteien stetig an Stärke gewonnen. Mit
einem Unterschied: Die Grünen hatten sich nach gut zehn Jahren
parlamentarischer Teilhabe in Richtung linke Mitte bewegt. Die AfD
hingegen hat sich mit jedem Wahlerfolg weiter radikalisiert.
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