23 April 2025

AfD in Umfragen stärkste Partei - Rasender Stillstand, stille Raserei (Cicero)

"Die „Brandmauer“ verhindert schlichtweg das Versinken der deutschen Sozialdemokratie in der politischen Bedeutungslosigkeit".
AfD in Umfragen stärkste Partei
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Rasender Stillstand, stille Raserei (Cicero)
In Umfragen steht die AfD inzwischen vor der Union. Doch an der politischen Sklerose im Land wird der anhaltende Höhenflug der Rechtspartei vorerst nichts ändern – im Gegenteil. Die vielen Brandmauern verstellen in Berlin längst den Blick auf die Realität.
VON ALEXANDER MARGUIER am 23. April 2025 7 min
Der Spruch, wonach Umfragen lediglich „Momentaufnahmen“ seien, die am nächsten Tag bestimmt schon keine Gültigkeit mehr hätten, ist stets nur aus Parteien zu hören, die aktuell besonders schlecht abschneiden. Das ist auch verständlich, schließlich will man sich selbst und seinen Anhängern Mut machen und bei den potentiellen Wählern nicht als künftiger Verlierer dastehen. Eine echte Gefahrenabwehr war dieses sprichwörtliche Pfeifen im Walde jedoch in den seltensten Fällen – vielleicht auch, weil das große Publikum sehr wohl erkennt, wohin der demoskopische Hase gerade läuft. 
Derzeit jedenfalls tut er dies im Fall der wohl künftigen Koalitionäre namens Union und SPD in Richtung Abgrund: Die Institute Forsa und Insa kommen für CDU/CSU auf einen Wert von 25 Prozent; die SPD steht, ebenfalls übereinstimmend, zehn Punkte dahinter. Beide Parteien haben damit gemessen am erst zwei Monate alten Bundestagswahlergebnis knapp fünf Prozentpunkte (und damit die Mehrheit im Parlament) verloren. Wenn jedem (Neu-)Anfang angeblich ein Zauber innewohnt, dann ist es im Fall von Schwarz-Rot jedenfalls ein böser Fluch.
Diskreditiert, noch bevor es richtig losgeht
Denn der eigentliche Umfrage-Hammer ist das Abschneiden der AfD: Insa sieht die rechte Partei gleichauf mit der Union, bei Forsa steht sie sogar bei 26 Prozent – und ist damit deutschlandweit erstmals die stärkste politische Kraft. Zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, an dem weder ein Koalitionsvertrag unterschrieben geschweige denn eine neue Regierung gebildet wurde. Diese Zahlen lassen nur einen Schluss zu: Was Union und Sozialdemokraten während ihrer Verhandlungen vereinbart haben, weckt bei ihren Wählern Frust und Verärgerung in einem Ausmaß, das sie ins sogenannte populistische Lager wechseln lässt. Schlechter kann man sich den Start in eine Legislaturperiode kaum vorstellen: diskreditiert, noch bevor es richtig losging. Dabei heißt es doch gleichermaßen bei der SPD wie bei CDU/CSU, man müsse unbedingt gemeinsam erfolgreich regieren, um den endgültigen Durchmarsch der AfD in knapp vier Jahren abzuwenden. Aber wahrscheinlich fallen die derzeitigen Werte ja nur wieder in die Kategorie „Momentaufnahme“ – und auf Strecke würden sich Segnungen der Schrumpf-Groko schon noch entfalten. Ganz nach dem Motto: Abends geht die Sonne auf, und morgens geht sie unter.

Tatsächlich zeigt die Potentialanalyse von Insa, dass die Union unter für sie optimalen Bedingungen bis zu 42 Prozent der Stimmen holen könnte. Aber die Umstände sind für sie eben dankbar schlecht. Das liegt zum einen am performativ untertourigen Kanzlerkandidaten, dessen Sprüche und Versprechungen sich ein ums andere Mal als Aussagen mit maximal geringem Haltbarkeitsdatum erweisen. Es liegt zum anderen an der als unüberwindbar erscheinenden „Brandmauer“ zur AfD, die immerhin 49 Prozent der Unionswähler ablehnen. So groß ist jedenfalls der Anteil derjenigen, die laut Insa dafür plädieren, die AfD als „normale Partei“ zu behandeln, während nur 33 Prozent vom Gegenteil überzeugt sind. Die ganz entscheidende Ursache für die desaströsen Werte von CDU und CSU dürfte allerdings deren designierter Koalitionspartner sein: Die SPD hat es trotz ihres miserablen Wahlergebnisses wieder einmal geschafft, der vereinbarten Agenda politisch ganz maßgeblich ihren Stempel aufzudrücken: Da wackelt also der 16,4-Prozent-Schwanz mit dem 28,5-Prozent-Dackel. Kein Wunder, dass die Leute in Scharen davonlaufen.

Ihre bizarre Wirkmächtigkeit bezieht die SPD allerdings nicht aus eigener Klugheit und erst recht nicht aus einem überragenden Personal: Die Parteivorsitzende Saskia Esken ist regelrechtes Kassengift, Noch-Innenministerin Nancy Faeser hat es soeben als Gegnerin der Meinungsfreiheit an prominenter Stelle in die britische Zeitschrift Economist gebracht, während Generalsekretär Matthias Miersch der offiziell unabhängigen Mindestlohnkommission klare Vorgaben macht, wie eine Erhöhung dieses Satzes auszufallen habe. Die deutsche Sozialdemokratie feiert sich geradezu in einem Beton-Etatismus, der keineswegs nur rechts der politischen Mitte für Würgereflexe sorgt. Denn fast alle Menschen im Land spüren genau, dass es jetzt mehr als nur ein bisschen Veränderung braucht, damit die Bundesrepublik endlich aus ihrer Wachstumsschwäche findet und international wieder ernstgenommen wird. Aber knapp über 16 Prozent reichen eben aus, um die Volkswirtschaft abzudrosseln und jegliche Aufbruchsstimmung schon im Keim zu ersticken. Denn die Union hat ja keine andere Wahl, Stichwort „Brandmauer“.

AfD als „normale Partei“?

Dass die AfD sich ohne viel eigenes Zutun anschickt, CDU/CSU in der Wählergunst zu überholen, dürfte von den deutschen Sozialdemokraten zwar mit offizieller Empörung zur Kenntnis genommen und entsprechend kommentiert werden. In Wahrheit aber kommt es ihnen nur recht. Denn natürlich hat man in der SPD gemerkt, dass einige Christdemokraten derzeit gewisse Lockerungsübungen unternehmen, was das Verhältnis zur AfD betrifft: Jens Spahn etwa hatte sich vor gut anderthalb Wochen für einen neuen Umgang mit der Weidel-Partei im Bundestag ausgesprochen: Er empfehle, „mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den Verfahren und Abläufen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“, so Spahn im Interview mit der Bild-Zeitung. Formal ging es ihm dabei zwar nur um Fragen wie diejenige, ob man der AfD auch Ausschussvorsitze zubilligen wolle. Aber der Subtext in Richtung der Sozialdemokraten lautete natürlich: Treibt es nicht zu weit mit uns, denn notfalls können wir auch anders (besser gesagt: mit jemand anderem).

Prompt schrillten bei der SPD die Alarmglocken, der eher tricky denn bodenständig wirkende Co-Vorsitzende Klingbeil sprach von einem „Foulspiel“ und einer „falschen“ Debatte. Fazit auch seiner Spitzen-Genossen: Die AfD sei eben gerade keine „normale“ Partei – wobei nach wie vor offen bleibt, welche Kriterien hier als Gradmesser für Normalität zu gelten haben. Eines aber ist gewiss: Für die Roten sind die Blauen schon deswegen keine normale Partei, weil die AfD der an den Wahlurnen marginalisierten SPD zuverlässig das Mitregieren sichert. Die „Brandmauer“ verhindert schlichtweg das Versinken der deutschen Sozialdemokratie in der politischen Bedeutungslosigkeit. Und jeglicher Annäherungsversuch einer in der Falle sitzenden Union an die rechte Konkurrenz kann realistischerweise nur unternommen werden, solange die AfD nicht größer ist als man selbst. Denn sonst würde Alice Weidel den Anspruch auf die Kanzlerschaft stellen – was selbst für undogmatische Unionsleute kaum tolerierbar und verargumentierbar sein dürfte.

Gespannt darf man sein, welchen Effekt das ungebremste Anwachsen der AfD auf die regelmäßig aufflammende Verbotsdebatte hat. Dass ein Verbot dieser Partei gerade im von ihr klar dominierten Osten des Landes für – gelinde gesagt – Aufruhr sorgen würde, sollte eigentlich jedem klar sein, der politisch auch nur eins und eins zusammenzählen kann. Aber man stelle sich vor, wie das Ausland reagieren würde, kämen „die Deutschen“ auf die Idee, der stärksten Partei im eigenen Land die Existenzberechtigung abzusprechen: Das Entsetzen wäre deutlich größer als über eine Regierungsbeteiligung der AfD selbst – zumal jenseits unserer Grenzen die hier praktizierte Form der Auseinandersetzung mit der Rechten ohnehin vielfach als befremdlich bis hysterisch empfunden wird. Weil sie nämlich in die politische Sklerose führt, den Wettbewerb zwischen den Parteien erkennbar verhindert und das gesellschaftliche Klima nachhaltig beschädigt.

Erfolgloser „Kampf gegen rechts“

Mit anderen Worten: Sollte sich die AfD dauerhaft als Nummer eins noch vor der Union etablieren, dürfte ein Verbotsverfahren gegen sie endgültig vom Tisch sein. Profitieren tut davon, anderslautenden Bekundungen zum Trotz, selbstverständlich auch hier wieder die SPD. Übrigens ebenso wie die von ihr gepamperten NGOs, die ihre Daseinsberechtigung letztlich aus einer real existierenden „Alternative für Deutschland“ ableiten. Dass diese selbstgefälligen „Nichtregierungsorganisationen“ mit ihrem „Kampf gegen rechts“ nicht das Geringste erreicht haben, scheint ohnehin niemanden von denen zu interessieren, die die finanziellen Mittel für diesen Wildwuchs arrangieren. Warum sollte es auch? Der Status quo ist doch nur allzu komfortabel.
Die Welt erlebt einen dramatischen Epochenwechsel. Jeder merkt es und ist beklommen, weil das politische Berlin derweil mit der routinemäßigen Bewirtschaftung von Brandmauern jeglicher Art beschäftigt ist – inklusive einer paternalistischen Beschneidung der Meinungsfreiheit, die von den künftigen Koalitionären vor „falschen Tatsachenbehauptungen“ dergestalt geschützt werden soll, dass Regierungskritik zur juristischen Gratwanderung wird. Es herrscht im schwarz-roten Funktionärsapparat der rasende Stillstand – und in den Köpfen der Bürger die stille Raserei. Höchste Zeit, mal wieder ein bisschen mehr Demokratie zu wagen.

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