Tatsächlich zeigt die Potentialanalyse von Insa, dass die Union unter für sie optimalen Bedingungen bis zu 42 Prozent der Stimmen holen könnte. Aber die Umstände sind für sie eben dankbar schlecht. Das liegt zum einen am performativ untertourigen Kanzlerkandidaten, dessen Sprüche und Versprechungen sich ein ums andere Mal als Aussagen mit maximal geringem Haltbarkeitsdatum erweisen. Es liegt zum anderen an der als unüberwindbar erscheinenden „Brandmauer“ zur AfD, die immerhin 49 Prozent der Unionswähler ablehnen. So groß ist jedenfalls der Anteil derjenigen, die laut Insa dafür plädieren, die AfD als „normale Partei“ zu behandeln, während nur 33 Prozent vom Gegenteil überzeugt sind. Die ganz entscheidende Ursache für die desaströsen Werte von CDU und CSU dürfte allerdings deren designierter Koalitionspartner sein: Die SPD hat es trotz ihres miserablen Wahlergebnisses wieder einmal geschafft, der vereinbarten Agenda politisch ganz maßgeblich ihren Stempel aufzudrücken: Da wackelt also der 16,4-Prozent-Schwanz mit dem 28,5-Prozent-Dackel. Kein Wunder, dass die Leute in Scharen davonlaufen.
Ihre bizarre Wirkmächtigkeit bezieht die SPD allerdings nicht aus eigener Klugheit und erst recht nicht aus einem überragenden Personal: Die Parteivorsitzende Saskia Esken ist regelrechtes Kassengift, Noch-Innenministerin Nancy Faeser hat es soeben als Gegnerin der Meinungsfreiheit an prominenter Stelle in die britische Zeitschrift Economist gebracht, während Generalsekretär Matthias Miersch der offiziell unabhängigen Mindestlohnkommission klare Vorgaben macht, wie eine Erhöhung dieses Satzes auszufallen habe. Die deutsche Sozialdemokratie feiert sich geradezu in einem Beton-Etatismus, der keineswegs nur rechts der politischen Mitte für Würgereflexe sorgt. Denn fast alle Menschen im Land spüren genau, dass es jetzt mehr als nur ein bisschen Veränderung braucht, damit die Bundesrepublik endlich aus ihrer Wachstumsschwäche findet und international wieder ernstgenommen wird. Aber knapp über 16 Prozent reichen eben aus, um die Volkswirtschaft abzudrosseln und jegliche Aufbruchsstimmung schon im Keim zu ersticken. Denn die Union hat ja keine andere Wahl, Stichwort „Brandmauer“.
AfD als „normale Partei“?
Dass
die AfD sich ohne viel eigenes Zutun anschickt, CDU/CSU in der
Wählergunst zu überholen, dürfte von den deutschen Sozialdemokraten zwar
mit offizieller Empörung zur Kenntnis genommen und entsprechend
kommentiert werden. In Wahrheit aber kommt es ihnen nur recht. Denn
natürlich hat man in der SPD gemerkt, dass einige Christdemokraten
derzeit gewisse Lockerungsübungen unternehmen, was das Verhältnis zur
AfD betrifft: Jens Spahn etwa hatte sich vor gut anderthalb Wochen für einen neuen Umgang mit der Weidel-Partei im Bundestag ausgesprochen:
Er empfehle, „mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den
Verfahren und Abläufen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“, so
Spahn im Interview mit der Bild-Zeitung. Formal ging es ihm
dabei zwar nur um Fragen wie diejenige, ob man der AfD auch
Ausschussvorsitze zubilligen wolle. Aber der Subtext in Richtung der
Sozialdemokraten lautete natürlich: Treibt es nicht zu weit mit uns,
denn notfalls können wir auch anders (besser gesagt: mit jemand
anderem).
Prompt schrillten bei der SPD die Alarmglocken, der eher tricky denn bodenständig wirkende Co-Vorsitzende Klingbeil sprach von einem „Foulspiel“ und einer „falschen“ Debatte. Fazit auch seiner Spitzen-Genossen: Die AfD sei eben gerade keine „normale“ Partei – wobei nach wie vor offen bleibt, welche Kriterien hier als Gradmesser für Normalität zu gelten haben. Eines aber ist gewiss: Für die Roten sind die Blauen schon deswegen keine normale Partei, weil die AfD der an den Wahlurnen marginalisierten SPD zuverlässig das Mitregieren sichert. Die „Brandmauer“ verhindert schlichtweg das Versinken der deutschen Sozialdemokratie in der politischen Bedeutungslosigkeit. Und jeglicher Annäherungsversuch einer in der Falle sitzenden Union an die rechte Konkurrenz kann realistischerweise nur unternommen werden, solange die AfD nicht größer ist als man selbst. Denn sonst würde Alice Weidel den Anspruch auf die Kanzlerschaft stellen – was selbst für undogmatische Unionsleute kaum tolerierbar und verargumentierbar sein dürfte.
Gespannt darf man sein, welchen Effekt das ungebremste Anwachsen der AfD auf die regelmäßig aufflammende Verbotsdebatte hat. Dass ein Verbot dieser Partei gerade im von ihr klar dominierten Osten des Landes für – gelinde gesagt – Aufruhr sorgen würde, sollte eigentlich jedem klar sein, der politisch auch nur eins und eins zusammenzählen kann. Aber man stelle sich vor, wie das Ausland reagieren würde, kämen „die Deutschen“ auf die Idee, der stärksten Partei im eigenen Land die Existenzberechtigung abzusprechen: Das Entsetzen wäre deutlich größer als über eine Regierungsbeteiligung der AfD selbst – zumal jenseits unserer Grenzen die hier praktizierte Form der Auseinandersetzung mit der Rechten ohnehin vielfach als befremdlich bis hysterisch empfunden wird. Weil sie nämlich in die politische Sklerose führt, den Wettbewerb zwischen den Parteien erkennbar verhindert und das gesellschaftliche Klima nachhaltig beschädigt.
Erfolgloser „Kampf gegen rechts“
Mit anderen
Worten: Sollte sich die AfD dauerhaft als Nummer eins noch vor der Union
etablieren, dürfte ein Verbotsverfahren gegen sie endgültig vom Tisch
sein. Profitieren tut davon, anderslautenden Bekundungen zum Trotz,
selbstverständlich auch hier wieder die SPD. Übrigens ebenso wie die von
ihr gepamperten NGOs, die ihre Daseinsberechtigung letztlich aus einer
real existierenden „Alternative für Deutschland“ ableiten. Dass diese
selbstgefälligen „Nichtregierungsorganisationen“ mit ihrem „Kampf gegen rechts“
nicht das Geringste erreicht haben, scheint ohnehin niemanden von denen
zu interessieren, die die finanziellen Mittel für diesen Wildwuchs
arrangieren. Warum sollte es auch? Der Status quo ist doch nur allzu
komfortabel.
Die Welt erlebt einen dramatischen Epochenwechsel. Jeder merkt es und
ist beklommen, weil das politische Berlin derweil mit der routinemäßigen
Bewirtschaftung von Brandmauern jeglicher Art beschäftigt ist –
inklusive einer paternalistischen Beschneidung der Meinungsfreiheit, die
von den künftigen Koalitionären vor „falschen Tatsachenbehauptungen“
dergestalt geschützt werden soll, dass Regierungskritik zur juristischen
Gratwanderung wird. Es herrscht im schwarz-roten Funktionärsapparat der
rasende Stillstand – und in den Köpfen der Bürger die stille Raserei.
Höchste Zeit, mal wieder ein bisschen mehr Demokratie zu wagen.
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