14 März 2024

The Pioneer Hauptstadt - Das Briefing: AfD-Prozess - Verfassungsschutz macht Politik

The Pioneer Hauptstadt - Das Briefing:
AfD-Prozess - Verfassungsschutz macht Politik
Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt-Das Briefing, 14.03.2024
Guten Morgen,
unsere Themen heute:
Mit dem Verfassungsschutz wird Politik gemacht – eine Sieben-Punkte-Analyse.
Beim Prozess in Münster geht es vordergründig darum, ob der Verfassungsschutz (VS) die AfD mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten darf.
Im Hintergrund steht jedoch eine generelle politische Frage: Soll die Regierung die Möglichkeit haben, die Opposition mithilfe des VS auszuspionieren? Dazu sieben Punkte:

1) Sowas gibt es nur in Deutschland. In keiner anderen modernen liberalen Demokratie gibt es eine vergleichbare Institution wie den VS. „In den USA, Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz wäre es undenkbar, dass ein Inlandsgeheimdienst die eigenen Bürger und sogar die Opposition ganz offiziell ausspionieren darf“, sagt Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler unserem Kollegen Jan Schroeder.

2) VS-Beamte tragen Parteibuch: Die leitenden Beamten unterstehen den Innenministerien von Bund und Ländern. Sie können jederzeit versetzt oder in den Ruhestand geschickt werden. Während in Bayern unter CSU-Ägide die Linkspartei noch unter Beobachtung steht und in einzelnen Fällen eine Mitgliedschaft bei der Einstellung in den Staatsdienst für Bewerber zum Fallstrick wird, gilt sie im links-regierten Thüringen als völlig unbedenklich.

3) Der VS wird vom Innenministerium beeinflusst. Der Jurist Ronen Steinke kommt in seinem vielbeachteten Werk „Verfassungsschutz – wie der Geheimdienst Politik macht” zu einem folgenschweren Schluss: Die Innenminister der Länder mischen sich ein. Bei der Einstufung der AfD als „rechtsextremer Verdachtsfall“ im Jahr 2021 pfuschte wohl CSU-Ex-Innenminister Horst Seehofer ins Gutachten, wie Steinke in seinem Buch beschreibt. Eine Äußerung von AfD-Politikern, die der VS als „verfassungsfeindlich“ klassifizierte, war so auch von Seehofer selbst getätigt worden.

4) Der VS ist nur scheinbar neutral: Wenn die „Hüter der Demokratie“ zu dem Schluss kämen, die AfD sei eine gesichert rechtsextreme Partei, dann gilt das in der Öffentlichkeit wie eine Art amtliches Siegel. Hieb- und stichfest durchdekliniert wie ein Gerichtsurteil. So beeinflusst der VS den demokratischen Wettbewerb.

5) Der VS kann antidemokratisch umfunktioniert werden: Die Gefahr einer AfD-Einflussnahme sprach AfD-Anwalt Christian Conrad in Münster selbst an. „Stellen Sie sich vor“, sagte er, „die AfD oder die Linkspartei wären an der Regierung und würden über die Besetzung des Verfassungsschutzes verfügen“. Die AfD müsste an der Macht keine Gesetze verändern, sondern könnte Mittel der „wehrhaften Demokratie“ dazu verwenden, diese zu demolieren. Weniger riskant wäre, die Verfassung gäbe keiner Regierung die Möglichkeit, einen Geheimdienst auf die Opposition anzusetzen.

6) Der VS überschreitet Grenzen. Seit 2021 gibt es beim Verfassungsschutz einen Phänomenbereich „Delegitimierung des Staates“. Damit werde absolut zulässige Regierungskritik in eine extremistische Ecke gestellt, so Rechtswissenschaftler Boehme-Neßler. Der Verfassungsrechtler hält dieses Vorgehen des VS für nicht grundgesetzkonform:

Innenministerin Nancy Faeser und "Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang haben hier die Grenze zum autoritären Staat überschritten"

7) Der VS sät Misstrauen: Nur durch Kritik wird eine Regierung dazu gebracht, regelmäßig ihre Politik zu überdenken. Je „härter die Gangart“ des VS, desto eher entsteht der Eindruck, Grundrechte und Demokratie gelten nur, solange es denen an der Macht passt. Kurzum: Der Verfassungsschutz erzeugt die Demokratie- und Verfassungsskepsis zu einem gewissen Teil mit, die er dann vorgibt, zu bekämpfen.

Fazit: Gegen die AfD hilft nur eine bessere Politik.

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