In ihrem am Donnerstag veröffentlichten Sonderbericht stellen die Rechnungsprüfer der deutschen Energiewendepolitik faktenreich und in aller Deutlichkeit ein geradezu vernichtendes Zeugnis aus. Besonders bedenklich: Sie stellen auch die Zuverlässigkeit der Bundesnetzagentur (BNetzA) als oberste Energiemarkt-Aufsicht infrage.
In ihrem Sonderbericht stellen die Prüfer fest, dass „es absehbar ist, dass insbesondere Windenenergie an Land nicht in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang ausgebaut wird.“ Auch könne das Bundeswirtschaftsministerium „seinen Zeitplan zum Zubau gesicherter, steuerbarer Back-up-Kapazität mit der Kraftwerksstrategie 2026 (KWS) voraussichtlich nicht einhalten.“ Überdies „liegt der Netzausbau erheblich hinter der Planung zurück. Der Rückstand beträgt mittlerweile sieben Jahre und 6000 Kilometer.“
Der Bericht steht in einem starken Kontrast zu den Verlautbarungen der Bundesregierung. Auf der Webseite des zuständigen Bundesministers Robert Habeck (Grüne), heißt es: „Unsere Energiewende: sicher, sauber, bezahlbar.“ Doch nach dem Urteil des Bundesrechnungshofes ist das Gegenteil der Fall: „Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, der Strom ist teuer und Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregierung nicht umfassend bewerten.“ Die Energiewende sei „bei der Stromversorgung nicht auf Kurs.“
Nach einem ersten, kritischen Energiewende-Bericht der Prüfer im Jahre 2021 „haben sich die Risiken verschärft“, heißt es in dem Bericht weiter. Die Ergebnisse hatte der Rechnungshof der Bundesregierung bereits vorgelegt. Die Antworten der Regierung auf die Kritik sind im Bericht dokumentiert, können die Rechnungsprüfer jedoch offenbar nicht überzeugen.
Ihr Urteil lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Der Bundesrechnungshof sieht das Ziel einer preisgünstigen Versorgung der Allgemeinheit mit Strom als nicht gesichert an. Daraus ergeben sich erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung.“
Kritik an der Nutzung des „Best-Case“
Besonders
bedenklich: Die Arbeit der für die Sicherheit der Stromversorgung
zuständigen Bundesnetzagentur wird ebenfalls in Zweifel gezogen. Die vom
früheren Grünen-Politiker Klaus Müller geleitete Behörde hatte im
vergangenen Jahr einen viel beachteten Bericht vorgelegt, demzufolge die
Energiewende unter bestimmten Grundannahmen unbedenklich sei: Laut
BnetzA könne „die Stromnachfrage in Deutschland im Zeitraum 2025 bis
2031 jederzeit gedeckt werden.“
Doch „der Bundesrechnungshof bewertet die Annahmen im Monitoring zur
Versorgungssicherheit als wirklichkeitsfremd“, heißt es nun im
Sonderbericht der Prüfer: Das Ergebnis der BNetzA beruhe auf einem
unwahrscheinlichen „Best-Case“. Dem Bundeswirtschaftsministerium und der
zugehörigen Marktaufsicht BNetzA werfen die Prüfer deshalb in nie
gehörter Deutlichkeit Verantwortungslosigkeit vor: „Das BMWK hat es
hingenommen, dass Gefahren für die Versorgungssicherheit nicht
rechtzeitig sichtbar und Handlungsbedarfe zu spät erkannt werden“, so
der Bundesrechnungshof: „Damit wird der Zweck des Monitorings als
Frühwarnsystem zur Identifizierung solcher Handlungsbedarfe derzeit
faktisch ausgehebelt.“
Die Bundesnetzagentur wies die Kritik des Rechnungshofes zurück: Die Berechnungen zur Versorgungssicherheit basierten auf der Simulation von über 27 Millionen Einzelsituationen im europäischen Strommarkt. Die BNetzA-Analyse sei auch kein „Best-Case“-Szenario, weil sie auch Extremsituationen mit mehreren, gleichzeitig auftretenden Herausforderungen berücksichtige.
Doch den Bundesrechnungshof überzeugt das nicht: Laut Energiewirtschaftsgesetz müsse „die Analyse der Versorgungssicherheit auf angemessenen zentralen Referenzszenarien beruhen“, belehren die Prüfer die Netzagentur: „Annahmen, die offensichtlich unwahrscheinlich sind, erfüllen diese Anforderungen nicht.“
Die Sensitivitätsanalysen der Müller-Behörde
entkräfteten nicht den Vorwurf des Rechnungshofes, dass die deutsche
Energiewende über kein taugliches Frühwarnsystem verfügt: Die
BNetzA-Berechungen zögen „Kapazitäten von einer Ausgangsgröße an
Kraftwerksleistung ab, die aufgrund von unrealistischen Annahmen (Zubau
steuerbarer gesicherter Leistung allein aus dem Markt heraus) zu hoch
angesetzt wurde“, stellen die Prüfer im Bericht klar.
Der Verweis des Ministeriums auf vorhandene Reservekraftwerke „überzeugt ebenfalls nicht“, urteilt der Rechnungshof: Denn die Übertragungsnetzbetreiber hätten bis September 2024 lediglich eine Kapazitätsreserve von 1,1 Gigawatt beschafft, obwohl laut Paragraf 13 Energiewirtschaftsgesetz 2,6 Gigawatt verpflichtend gewesen seien. Die Netzbetreiber „unterschreiten die verpflichtende Kapazitätsreserve um fast 50 Prozent“, kritisieren die Prüfer: „Von einer Nachbeschaffung“ hätten die Netzbetreiber „im Einvernehmen mit BMWK und BnetzA“ abgesehen.“
Eine Energiewende, die ihre Ziele verfehlt, eine
Aufsichtsbehörde, die die Lage beschönigt, Netzbetreiber, die
gesetzliche Sicherheitspuffer mit regierungsamtlicher Zustimmung
unterschreiten dürfen: Das Urteil des Bundesrechnungshofes weist bereits
bis hierhin auf eine dramatische Fehlentwicklung in der Energiepolitik
hin, die größte Auswirkungen auf die Qualität des Wirtschaftsstandortes
Deutschland haben kann. Doch damit nicht genug.
Die Bundesregierung erfüllt offenbar auch die Anforderungen von Paragraf 1 Energiewirtschaftsgesetz nicht. Demnach ist eine möglichst „sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente, umweltverträgliche und treibhausgasneutrale leitungsgebundene Versorgung mit Energie“ anzustreben. Doch die Umweltverträglichkeit der aktuellen Energiewendepolitik ist aus Sicht der Prüfer unklar, die Bezahlbarkeit von Strom ebenfalls.
„Bereits heute steht die Bezahlbarkeit der Stromversorgung infrage“, stellt der Sonderbericht fest. So seien die Preise für Strom in Deutschland in den vergangenen Jahren „kontinuierlich gestiegen“ und zählten heute zu den höchsten in der Europäischen Union: Private Haushalte zahlten im ersten Halbjahr 2023 im Schnitt 41,25 Cent pro Kilowattstunde. Dieser Preis lag um 42,7 Prozent über dem EU-Durchschnitt.
Weitere Kostensteigerungen seien erwartbar, teilt der Bundesrechnungshof mit: „Bis zum Jahr 2045 fallen allein für den Ausbau der Stromnetze massive Investitionskosten von mehr als 460 Milliarden Euro an“, warnen die Prüfer. Sie kritisieren: „Das BMWK berücksichtigt diese Systemkosten bisher nicht bei seiner Darstellung der Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien.“
Um den sehr hohen Strompreisen entgegenzuwirken, habe die Bundesregierung diese wiederholt mit staatlichen Mitteln punktuell bezuschusst, erklärte der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller: „Dadurch entsteht ein falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte zuletzt den Eindruck erweckt, der Ausbau von Wind- und Solarenergie werde schon bald für niedrige Strompreise sorgen. So reiche es aus, für die Industrie einen „Brückenstrompreis“ bis ins Jahr 2030 zu subventionieren, weil dann erneuerbare Energien für fallende Preise sorgen würden.
Zweifel an der Menge erneuerbarer Energie
Der
Rechnungshof zweifelt an dieser Aussicht nicht nur wegen der schnell
steigenden Kosten des Netzausbaus. Auch die Kosten für stabilisierende
Netzeingriffe würden bis 2028 auf jährlich 6,5 Milliarden Euro steigen,
„ein Vielfaches früherer Werte.“
Schon die Grundannahme, es werde die erwünschte Menge erneuerbarer Energie erzeugt, zweifelt der Rechnungshof an. So war es der Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr im Auktionsverfahren nicht gelungen, die nötigen Bauinteressen für 12,8 Gigawatt Windenergie an Land einzuwerben. Tatsächlich waren die Ausschreibungen fast zur Hälfte unterzeichnet.
In der Folge muss die Bundesnetzagentur in diesem Jahr die nicht vergebenen Fördermittel zusätzlich ausschreiben. Damit steigt das Ausschreibungsvolumen in diesem Jahr um 65 Prozent auf 16,45 Gigawatt Windkraft an Land – was der installierten Leistung von 16 Atom- und Großkraftwerken entspricht. Ein unrealistisch hoher Wert, so der Bundesrechnungshof: Für Windkraft an Land sei „absehbar, dass die Ausbauziele nicht erreicht werden“ und damit auch „die Gesamtausbauziele für erneuerbare Energien (...) mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind.“
„Die Stromversorgung muss sicher, bezahlbar und umweltverträglich sein (§ 1 EnWG)“, lautet das Petitum des Bundesrechnungshofes: „Dieser Bericht zeigt auf, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zur Umsetzung der Energiewende ungenügend sind und deshalb gravierende Risiken für jedes dieser energiepolitischen Ziele bergen: Verzug beim Ausbau der erneuerbaren Energien, der notwendigen gesicherten, steuerbaren Kraftwerksleistungen sowie der Stromnetze gehören hierzu ebenso wie hohe Strompreise und Wissenslücken hinsichtlich der Umweltwirkungen der Transformation.“
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