In jeder Gesellschaft gibt es Arme. Fragt sich nur, wie man Armut misst. Laut Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, gaben 2021 4,6 Prozent aller Deutschen an, nur unter großen Schwierigkeiten mit ihrem Geld auszukommen.
Armutsbericht: Plötzlich hat Deutschland mehr Arme als Tschechien oder die Slowakei
Was noch viel überraschender ist: Nach dieser Statistik gibt es in Tschechien, Ungarn und Slowenien die wenigsten Armen. In Polen und der Slowakei gibt es auf dem Papier ebenfalls weniger Armut als im reichen Deutschland.
Da stellt sich die Frage, wie aussagekräftig die „Armutsgefährdungsquote“ eigentlich ist. Diese beruht auf dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Dabei wird jährlich zirka ein Prozent aller Haushalte in Deutschland befragt.
Als
armutsgefährdet gilt demnach, wer weniger als 60 Prozent des mittleren
Einkommens (einschließlich aller Sozialleistungen) zur Verfügung hat.
Bei einem Single ohne Kinder liegt die „Armutsschwelle“ bei weniger als
1183 Euro im Monat, bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind unter 14
Jahren bei 1542 Euro verfügbarem Einkommen.
Diese
Armutsgefährdungsquote wird auch international am häufigsten zur
Feststellung der sozialen Lage verwendet. Doch weist dieser Maßstab
erhebliche Schwächen auf.
Zunächst einmal sind die 60 Prozent
willkürlich gewählt. Die Grenze könnte auch bei 65 oder 55 Prozent
liegen. Doch haben sich die Armutswissenschaftler aller Länder nun mal
auf 60 Prozent geeinigt.
600 Euro Rente oder 600 Euro Bafög - die Statistik schmeißt alles in einen Topf
Bei
der Ermittlung der Quote spielt keine Rolle, aus welcher Quelle jemand
sein Einkommen bezieht. Ein Rentner mit gerade mal 600 Euro zählt
zweifellos zu den Armen. Studenten oder Auszubildende mit 600 Euro Bafög
werden sich selbst dagegen nicht als arm bezeichnen. Für die
Statistiker macht das keinen Unterschied.
Unberücksichtigt bleibt
auch das Vermögen. So können Rentner mit ihrem laufenden Einkommen in
der Nähe oder unter der „Armutsgrenze“ liegen, obwohl sie in den eigenen
vier Wänden leben.
Noch gravierender ist ein anderer Faktor bei
der Berechnung der Quote. Das mittlere Einkommen besagt, dass genau die
Hälfte der in Deutschland Lebenden mehr oder weniger als dieses
„Medianeinkommens“ zur Verfügung hat.
Das bedeutet: Wenn jeder
plötzlich das Doppelte bekäme wie jetzt – der Manager wie der
Bafög-Empfänger, der Facharbeiter wie der Bezieher von Grundsicherung –
würde sich das mittlere Einkommen logischerweise verdoppeln.
In diesem Fall hätten alle deutlich mehr Geld in der Tasche. Nur die Zahl der „Armen“ mit weniger als 60 Prozent bliebe gleich.
Grotesk! Würden Millionäre auswandern, hätten wir weniger Arme
Dasselbe
gilt übrigens auch umgekehrt: Eine Halbierung sämtlicher Bezüge würde
uns alle ärmer machen, jedoch nichts an der Quote ändern.
Würden
hingegen die hier lebenden Einkommensmillionäre auswandern, reduzierte
sich das mittlere Einkommen und damit die Zahl der „Armen“. Tatsächlich
ginge es diesen aber um keinen Deut besser.
Die
„Armutsgefährdungsquote“ misst also keineswegs die absolute „Armut“,
sondern die relative. Mit folgendem Ergebnis: In den Ländern, in denen
alle mehr oder weniger gleich arm sind, ist die Quote geringer als in
einem Land wie Deutschland, in dem es deutliche Unterschiede zwischen
hohen und niedrigen Einkommen gibt.
Nur deshalb kann es im
internationalen Vergleich zu so grotesken Ergebnissen kommen, dass es in
der „reichen“ Bundesrepublik deutlich mehr „Arme“ geben soll als in
ehemaligen Ostblockstaaten mit einer deutlich geringeren
Wirtschaftskraft und einem weniger leistungsfähigen Sozialsystem.
Florierende Armutsindustrie: Sozialverbände, Professoren, Genossen und linke Grüne
Die
Art und Weise, wie hierzulande Armut gemessen wird, ist also höchst
ungenau. Doch wird die sogenannte Armut gerne als Begründung für höhere
Steuern oder die Einführung einer Vermögensabgabe herangezogen.
Dabei
spielt die Armutsindustrie eine wichtige Rolle. Sie ist ein teilweise
staatlich finanziertes Konglomerat: Sozialverbände und soziale
Initiativen, Inhaber von Lehrstühlen für Armutsforschung, Linkspartei,
linker Flügel der SPD und Teile der Grünen.
Diese
armutspolitische Interessengemeinschaft agiert mit freundlicher
Unterstützung vieler Medien, angeführt von den öffentlich-rechtlichen
Anstalten. Und sie tut das durchaus mit Erfolg in Bezug auf ihre
öffentliche Wirkung.
Die „Armutsgefährdungsquote“ soll eigentlich
anzeigen, wie hoch der Anteil derer ist, die in Armut abzurutschen
drohen. Denn Armutsgefährdung ist etwas anderes als Armut.
Das Lied von Verelendung und Verarmung wird gerne angestimmt
Sozialverbände
und Sozialpolitiker des links-grünen Spektrums sprechen jedoch
grundsätzlich nur von Armut. Der Ton macht hier die Musik; in diesem
Fall wird hier das Lied von Verelendung und Verarmung angestimmt – und
vielfach geglaubt.
Es fällt aus, dass diese internationalen
Vergleiche bei der „Armutsquote“ weitgehend ignoriert werden.
Schließlich lässt sich kaum vermitteln, dass Länder mit einem deutlich
niedrigeren Lebensstandard als Deutschland eine niedrigere
Armutsgefährdungsquote aufweisen als wir.
Tschechien, Polen oder
Ungarn haben, um es im Sprachgebrauch der Armutsindustrie zu
formulieren, weniger Arme als wir. In Wirklichkeit ist die „Armut“ dort
nur gleichmäßiger verteilt.
Man stelle sich das Erstaunen des
Publikums vor, wenn in den „Tagesthemen“ oder im „heute journal“ nach
einem Bericht über die neueste „Armutsquote“ hinzugefügt würde,
„innerhalb Europas ist die ‚Armut‘ in Tschechien am geringsten.“ Da
würde mancher Zuschauer meinen, er wäre in eine Comedy-Sendung geraten.
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