04 Juli 2023

Der andere Blick: Der Sparplan des Finanzministers ist ein guter Anfang (NZZ)

Der andere Blick
Thema des Tages: Der Sparplan des Finanzministers ist ein guter Anfang (NZZ)
von Johannes C. Bockenheimer Wirtschaftsredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung»
Seit anderthalb Jahren ist die deutsche Ampelkoalition im Amt, und wenn es in dieser Zeit um den Haushalt ging, wirkte sie seltsam entrückt von der Realität. Während Russland die Ukraine in den Krieg und Europa ins Chaos stürzte, während der Wohlstand der Bürger durch die Inflation aufgezehrt wurde und die Betriebe durch eine Energiekrise in eine Rezession schlitterten, hat man in den Ministerien der Bundesregierung von alldem scheinbar nichts mitbekommen.
Oder es aber verdrängt: Immer neue Milliardenwünsche wurden an Finanzminister Christian Lindner herangetragen, um immer neue Wohltaten an die Wähler austeilen zu können. Auf insgesamt 70 Milliarden Euro summierte sich die Wunschliste der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP. Krise, welche Krise?

Schluss, aus und vorbei. Lindner hat mit seinem Haushaltsentwurf nun klargemacht, dass es so nicht weitergehen kann. Jetzt müssen Prioritäten gesetzt und, ja, auch der eine oder andere Euro muss eingespart werden. Für manche seiner Kabinettskollegen mag der Finanzplan für die kommenden Jahre eine schmerzhafte Zumutung sein, richtig ist er dennoch. Der Staat darf nicht blühen, während der Rest der Republik welkt. Mit Lindners Machtwort ist die «Ampel» damit endlich in der Realität angekommen – zumindest ein bisschen.

Lindner tat, was er tun musste

Denn einige Kollegen des Finanzministers fremdeln noch immer mit der neuen finanziellen Wirklichkeit. Da wäre zum Beispiel Familienministerin Lisa Paus: Bis zuletzt hatte sie von Lindner einen Budgetaufschlag von 12 Milliarden Euro für ihre geplante Kindergrundsicherung gefordert. Ein Konzept allerdings, wie diese Milliarden konkret ausgegeben werden sollen, konnte oder wollte die Grünen-Politikerin bislang nicht vorlegen.

Lindner tat, was er tun musste: Er setzte den Rotstift an. Statt 12 Milliarden sieht sein Haushaltsentwurf für die Kindergrundsicherung jetzt nur noch 2 Milliarden vor – und obendrein muss Paus auch noch an anderer Stelle sparen, etwa beim Elterngeld. Dass die Ministerin und ihre Partei Lindner deswegen nun heftig angehen, ihm soziale Ignoranz unterstellen, ist fragwürdig, um es vorsichtig zu formulieren.

Denn Lindners Festhalten an der Schuldenbremse ist keine merkwürdige Marotte oder liberale Neurose, sondern seine von der Verfassung vorgegebene Pflicht. Doch diese Erkenntnis ist noch nicht bis zum letzten Ampelkoalitionär durchgesickert, das deutsche Grundgesetz gibt es nicht à la carte: Man kann sich nicht herauspicken, was einem passt, und weglassen, was missfällt. Nein, die deutsche Verfassung gilt von der ersten bis zur letzten Seite.

Doch auch Lindner selbst muss sich einen Tadel gefallen lassen. Zwar erfüllt sein Haushaltsentwurf auf dem Papier die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Blickt man allerdings auf die milliardenschweren, schuldenfinanzierten «Sondervermögen», mit denen Rüstungsvorhaben oder die «Wärmewende» gestemmt werden sollen, muss man zu dem Schluss kommen: Der Finanzminister hat getrickst. Denn in Relation dazu wirken die 3,5 Milliarden Euro, die von den sechzehn Ministerien unterm Strich nun eingespart werden sollen, winzig.

Es braucht eine «Haushaltswende»

Klar ist: Das Land steckt in einer Krise, und es braucht jetzt Investitionen in die Zukunft. Doch die Gefahr besteht, dass die Milliarden stattdessen aufgebracht werden, um Löcher zu stopfen und um einen Standard zu erhalten, den sich die Nation nicht mehr leisten kann. Denn Deutschland hat seinen Wohlstand im vergangenen Jahrzehnt auf vermeintlich billiger russischer Energie aufgebaut, hat sich von niedrigen Zinssätzen am Anleihemarkt verwöhnen lassen und viel zu lange ignoriert, dass die Demografie zum milliardenschweren Problem wird.

Wenn das Kabinett am Mittwoch Lindners Entwurf zustimmen sollte, würde damit auch die erste Rate für diese drei teuren politischen Fehler der Vergangenheit überwiesen. Bis die Gesamtrechnung allerdings beglichen ist, werden noch viele Jahre vergehen und sehr viel höhere Zumutungen auf die Bundesregierung, die Bürger und Betriebe zukommen. Auf die deutsche Zeitenwende muss deshalb jetzt auch eine «Haushaltswende», also weitere Einsparungen, folgen: Herr Lindner, bleiben Sie dran!

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