Thema des Tages: Der Sparplan des Finanzministers ist ein guter Anfang (NZZ)
von Johannes C. Bockenheimer Wirtschaftsredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung»
Seit
anderthalb Jahren ist die deutsche Ampelkoalition im Amt, und wenn es
in dieser Zeit um den Haushalt ging, wirkte sie seltsam entrückt von der
Realität. Während Russland die Ukraine in den Krieg und Europa ins
Chaos stürzte, während der Wohlstand der Bürger durch die Inflation
aufgezehrt wurde und die Betriebe durch eine Energiekrise in eine
Rezession schlitterten, hat man in den Ministerien der Bundesregierung
von alldem scheinbar nichts mitbekommen. Oder es aber verdrängt:
Immer neue Milliardenwünsche wurden an Finanzminister Christian Lindner
herangetragen, um immer neue Wohltaten an die Wähler austeilen zu
können. Auf insgesamt 70 Milliarden Euro summierte sich die Wunschliste
der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP. Krise, welche Krise?
Schluss,
aus und vorbei. Lindner hat mit seinem Haushaltsentwurf nun
klargemacht, dass es so nicht weitergehen kann. Jetzt müssen Prioritäten
gesetzt und, ja, auch der eine oder andere Euro muss eingespart werden.
Für manche seiner Kabinettskollegen mag der Finanzplan für die
kommenden Jahre eine schmerzhafte Zumutung sein, richtig ist er dennoch.
Der Staat darf nicht blühen, während der Rest der Republik welkt. Mit
Lindners Machtwort ist die «Ampel» damit endlich in der Realität
angekommen – zumindest ein bisschen.
Lindner tat, was er tun musste
Denn
einige Kollegen des Finanzministers fremdeln noch immer mit der neuen
finanziellen Wirklichkeit. Da wäre zum Beispiel Familienministerin Lisa
Paus: Bis zuletzt hatte sie von Lindner einen Budgetaufschlag von 12
Milliarden Euro für ihre geplante Kindergrundsicherung gefordert. Ein
Konzept allerdings, wie diese Milliarden konkret ausgegeben werden
sollen, konnte oder wollte die Grünen-Politikerin bislang nicht
vorlegen.
Lindner tat, was er tun musste: Er setzte den Rotstift an.
Statt 12 Milliarden sieht sein Haushaltsentwurf für die
Kindergrundsicherung jetzt nur noch 2 Milliarden vor – und obendrein
muss Paus auch noch an anderer Stelle sparen, etwa beim Elterngeld. Dass
die Ministerin und ihre Partei Lindner deswegen nun heftig angehen, ihm
soziale Ignoranz unterstellen, ist fragwürdig, um es vorsichtig zu
formulieren.
Denn Lindners Festhalten an der Schuldenbremse ist
keine merkwürdige Marotte oder liberale Neurose, sondern seine von der
Verfassung vorgegebene Pflicht. Doch diese Erkenntnis ist noch nicht bis
zum letzten Ampelkoalitionär durchgesickert, das deutsche Grundgesetz
gibt es nicht à la carte: Man kann sich nicht herauspicken, was einem
passt, und weglassen, was missfällt. Nein, die deutsche Verfassung gilt
von der ersten bis zur letzten Seite.
Doch auch Lindner selbst muss
sich einen Tadel gefallen lassen. Zwar erfüllt sein Haushaltsentwurf auf
dem Papier die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Blickt man allerdings
auf die milliardenschweren, schuldenfinanzierten «Sondervermögen», mit
denen Rüstungsvorhaben oder die «Wärmewende» gestemmt werden sollen,
muss man zu dem Schluss kommen: Der Finanzminister hat getrickst. Denn
in Relation dazu wirken die 3,5 Milliarden Euro, die von den sechzehn
Ministerien unterm Strich nun eingespart werden sollen, winzig.
Es braucht eine «Haushaltswende»
Klar
ist: Das Land steckt in einer Krise, und es braucht jetzt Investitionen
in die Zukunft. Doch die Gefahr besteht, dass die Milliarden
stattdessen aufgebracht werden, um Löcher zu stopfen und um einen
Standard zu erhalten, den sich die Nation nicht mehr leisten kann. Denn
Deutschland hat seinen Wohlstand im vergangenen Jahrzehnt auf
vermeintlich billiger russischer Energie aufgebaut, hat sich von
niedrigen Zinssätzen am Anleihemarkt verwöhnen lassen und viel zu lange
ignoriert, dass die Demografie zum milliardenschweren Problem wird.
Wenn
das Kabinett am Mittwoch Lindners Entwurf zustimmen sollte, würde damit
auch die erste Rate für diese drei teuren politischen Fehler der
Vergangenheit überwiesen. Bis die Gesamtrechnung allerdings beglichen
ist, werden noch viele Jahre vergehen und sehr viel höhere Zumutungen
auf die Bundesregierung, die Bürger und Betriebe zukommen. Auf die
deutsche Zeitenwende muss deshalb jetzt auch eine «Haushaltswende», also
weitere Einsparungen, folgen: Herr Lindner, bleiben Sie dran!
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