26 Juli 2023

Ära der Stagnation Die Welt wächst – Deutschland schrumpft (WELT+)

"Deutschland ist mal wieder der kranke Mann Europas. Diesmal aber mit größerer Klappe und "feministischer" Außenpolitik". Nach Ulf Poschardt
Ära der Stagnation
Die Welt wächst – Deutschland schrumpft (WELT+)
, Finanz-Redakteur, 25.07.2023
In der Wirtschaftsprognose des IWF landet Deutschland ganz am Ende der Tabelle, und auch weitere Daten deuten auf eine tiefe Krise. Die Ursachen sind vielfältig, eine Trendwende ist schwierig. Denn Deutschlands einstmals große Stärke wird jetzt zum Nachteil.
Die Schläge kommen inzwischen im Abstand weniger Stunden. Am Montag war es eine Befragung deutscher Einkaufsmanager, am Dienstagmorgen eine Umfrage in den Chefetagen der Unternehmen, am Nachmittag dann die Konjunkturprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF). Und alle senden eine Botschaft: Krise.
Für die deutsche Wirtschaft und insbesondere die deutsche Industrie geht es immer weiter abwärts, gerade auch im Vergleich mit anderen Ländern. Das hat viele Gründe, einige sind hausgemacht, einige brechen von außen herein. Vor allem aber gibt es keine einfachen Rezepte, um die Lage schnell zu ändern. Deutschlands wirtschaftliche Stagnation dürfte daher noch einige Zeit anhalten.

Besonders beeindruckend sind die aktuellen Prognosen des IWF. Denn für das globale Wachstum hoben dessen Ökonomen die Zahlen leicht an, sie rechnen jetzt für dieses Jahr mit einem Plus von 3,0 Prozent. Bei der letzten Aktualisierung im April gingen sie noch von 2,8 Prozent aus.

Für einige Länder sehen sie sogar eine deutliche Verbesserung voraus, Spanien beispielsweise kann nun mit einem Wachstum von 2,5 statt 1,5 Prozent rechnen, und für Großbritannien wurde die Rezession abgesagt: Statt eines Minus von 0,3 Prozent steht in der Tabelle nun ein Plus von 0,4 Prozent.
Ganz anders Deutschland. Neben Saudi-Arabien ist es das einzige größere Land, für das die IWF-Experten die Prognosen absenkten. Die Wirtschaft hierzulande werde in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen. Im April waren sie noch von einem Minus von 0,1 Prozent ausgegangen.
Daten und Anlässe für diese Prognoseverschlechterung gab es zuletzt genug, ganz aktuell beispielsweise am Montag den HCOB Einkaufsmanagerindex. Die Einkäufer sind jene Mitarbeiter in Unternehmen, die üblicherweise als erste auf eine Veränderung der wirtschaftlichen Lage reagieren. Daher werden sie von Ökonomen gerne herangezogen, um die künftige Entwicklung der Wirtschaft zu prognostizieren.

Aktuell ist der Gesamtindex nun deutlich unter die Marke von 50 Punkten gefallen – diese wird gemeinhin als Schwelle zur Rezession definiert. Der Index für das produzierende Gewerbe fiel jedoch sogar auf 38,8 Punkte – nur im April 2020, während des Beginns der Pandemie, und Anfang 2009, in der Hochphase der Finanzkrise, lag er noch tiefer. Hier brennt es offenbar.

Und auch der Ifo-Geschäftsklimaindex, der auf einer Befragung der Chefetagen der Unternehmen basiert, ist erneut gesunken, nunmehr auf 88,5 Punkte. Auch dies ist ein Niveau, das sonst meist nur in schweren Rezessionen erreicht wurde.

„Deutschlands Wirtschaft ist im Abwärtsstrudel“, sagt daher Christoph Swonke, Konjunkturanalyst der DZ Bank, und er nennt mehrere Gründe: „Die US-Konjunktur schwächelt und die erhofften Nachfrageimpulse aus China nach dem Ende der Null-Covid-Politik fehlen bislang, zudem dämpfen die Zinswende und die immer noch hohe Inflation.“

Allerdings sind das Faktoren, die nicht nur auf Deutschlands Wirtschaft wirken. Sie belasten auch andere Länder, doch diese kommen damit offenbar besser zurecht. „In kaum einem anderen Land ist die Konjunktur derzeit so stark unter Druck wie hierzulande“, sagt Andreas Scheuerle, Ökonom bei der Deka-Bank.

Der wesentliche Grund dafür sei die Struktur der deutschen Wirtschaft, die weit stärker als andere auf der Industrie basiert. Das war über viele Jahre ein Vorteil, insbesondere zu Zeiten, als deutsche Industriegüter vor allem in China stark nachgefragt wurden.

Doch inzwischen ist die Dominanz der Industrie eine Belastung. „Der Krieg, die Energiepreise und die restriktivere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) belasten das deutsche verarbeitende Gewerbe“, sagt Ipek Ozkardeskaya, leitende Analystin bei der Swissquote Bank.

Gleichzeitig leidet auch der private Konsum. „Die privaten Haushalte sind in Anbetracht gestiegener Lebenshaltungskosten zum Sparen gezwungen“, sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Dies wiederum führe zu einem massiven realen Umsatzeinbruch des Einzelhandels.

Hier hat er immerhin ein wenig Hoffnung, dass sich der Trend dreht, wenn die Inflationsraten deutlich zurückgehen und die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen Monate zu Reallohnzuwächsen führen. „Das würde das Vertrauen der Konsumenten stärken und zumindest für etwas frischen Wind bei den Verbraucherausgaben führen.“

Steuersenkungen und Industriestrompreis helfen kaum

Bei den anderen Problemen ist dagegen nicht mit schneller Abhilfe zu rechnen. Die Strompreise werden hoch bleiben, es sei denn die Bundesregierung einigt sich doch noch auf einen Industriestrompreis, der staatlich subventioniert würde.

Auch bei den Finanzierungsbedingungen ist mit keiner Entlastung zu rechnen. Die Europäische Zentralbank dürfte sich weiter auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren und schon am Donnerstag den Leitzins erneut anheben. Selbst wenn dies der letzte Zinsschritt sein sollte, dürfte das Niveau für einige Zeit hoch bleiben.

Und schließlich wird voraussichtlich auch der Export nicht so schnell wieder zum Wachstumstreiber werden. Die Konjunkturschwäche in China dürfte noch einige Zeit anhalten, und in den USA betreibt die Regierung gerade mithilfe gigantischer Subventionen die Reindustrialisierung des Landes.

Auch und gerade deutsche Firmen werden daher eher ihre Produktion in die USA verlagern, als sie hierzulande auszuweiten. Dagegen helfen weder kurzfristige Steuersenkungen, ein Industriestrompreis oder noch so ambitionierte wirtschaftspolitische Reformen in Deutschland – die staatlichen Zuschüsse in den USA stechen alles aus.

Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank, ist aufgrund dieses Cocktails sogar noch etwas pessimistischer als die IWF-Ökonomen. Er geht von einem Minus von 0,4 Prozent bei der deutschen Wirtschaftsleistung in diesem Jahr aus.

Vor allem aber sagt er auch für das kommende Jahr nur ein schwaches Plus von 0,8 Prozent voraus. Für mehr fehlten die Wachstumsimpulse aus dem Ausland. „Zudem belasten die strukturellen Anpassungen in den energieintensiven Branchen und der Automobilindustrie“, sagt er.

Aber auch ein weiterer Grund spricht für eine lange Talsohle. „Neben der schwachen Konjunktur macht sich der demografische Wandel als Wachstumshemmnis zunehmend bemerkbar“, sagt Bauknecht. „So dürfte die Dynamik bei den beschäftigungsintensiven Wirtschaftsbereichen spürbar nachlassen und der Fachkräftemangel könnte eine wieder kräftiger anziehende Baukonjunktur behindern.“

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