10 Juni 2024

Europawahl Hochmut kommt vor dem Wahldebakel (WELT)

Europawahl
Hochmut kommt vor dem Wahldebakel (WELT)
, Chefredakteur, 10.06.2024, Lesedauer 5 Min.
Die Grünen brutal geschreddert, die SPD arg gerupft: Die Europawahl offenbart das politische Versagen von Rot-Grün, Antworten auf Fragen zu finden, die für die Bürger wirklich relevant sind.
Wahlen sind Geschenke. Nicht nur für mündige Bürger, die ihren politischen Willen artikulieren, sondern auch für Parteien und Politiker. Alle Macht geht vom Volke aus. Und in Demokratien können bei Wahlen amtierenden Politikern Hinweise, Denkzettel, mitunter aber auch symbolische Backpfeifen serviert werden. So wie bei den Wahlen zum EU-Parlament.
In ganz Europa haben konservative und rechte Parteien zugelegt, während die linke Mitte leisere Töne spucken muss. In Belgien tritt der Premier zurück, in Frankreich ruft Emmanuel Macron, dessen Partei von Marine Le Pen deklassiert wurde, Neuwahlen aus.
Nur in Deutschland bleibt die Disruption aus. Mit einem hanseatischen „Nö“ verweigert der Bundeskanzler, obwohl sehr sichtbar plakatiert im Wahlkampf, jeden Kommentar zu einem absoluten Wahldesaster seiner Koalition.
Die Entzauberung der Grünen hat genau fünf Jahre nach ihrem größten Triumph deutlich gemacht, dass das eitle akademische Bildungsbürgertum wie so oft voreilig das Fell des Transformationsbären verteilt hat. Der Hochmut beziehungsweise Übermut nach den unglaublichen 20,5 Prozent bei der Europawahl 2019 hatte nicht nur drei Viertel aller deutschsprachigen Medien erfasst, sondern auch jenes urbane Besserverdienermilieu, das postmaterialistisch die moralische Distinktion zu ihren Yoga-Retreats auf La Gomera oder uckermärkischen Scheunenanwesen mit sich führte.
Intellektuelle Generalmobilmachung aus dem Elfenbeinturm

Hochgejubelt als Kanzlerpartei sollte nun endlich Schluss sein mit dem alten Kapitalismus, mit der patriarchalen Kultur, mit den alten weißen Männern, mit dem Verbrenner, mit den Bratwürsten, mit dem Urlaub auf Mallorca und dem Traum vom Eigenheim im Speckgürtel der Großstadt. Die intellektuelle Generalmobilmachung aus dem Elfenbeinturm sah sich schon als Vordenkerei künftiger Kanzlerinnen und Kanzler, künftiger Staatspräsidenten und natürlich ganz eigennützig: künftiger steuerfinanzierter Jobs, Behörden und Institute.

Am bittersten für die Propagandisten des künftigen grünen Zeitalters sind die katastrophalen Abstürze bei den Erst- und Jungwählern. Unglaubliche 23 Prozentpunkte, das heißt zwei Drittel ihrer Wähler, haben die einst Alternativen hier verloren. Der Schwachsinn, von Marketingfuzzis und LinkedIn-Flöten ebenso verbreitet wie von mittlerweile abgelösten Auto-CEOs und Siemens-Größen, dass die Jugend nun mal grün sei – das hat sich erledigt.

Die Grünen müssen sich jetzt entscheiden, ob sie umsteuern oder weitermachen mit ihrer kulturkämpferischen Agenda, klassische Familienmodelle zu zersetzen, Frauen- und Männer-Rollenbilder zu vergiften, spalterische Minderheiten-Politik hochzujazzen, Migration weiter zu verklären und beim „Kampf gegen Rechts“ nicht nur Konservative und Liberale verprellen. Und dabei gar nicht zu merken, wie weit nach links ihre eigene Grüne Jugend und das kulturelle Umfeld mitunter gerückt sind.

Die letzten Realos wie Danyal Bayaz klingen am Abend der Niederlage sehr selbstkritisch. Anders: das grüne Kulturestablishment. Die Lernkurve ist bei null. Die Arroganz bleibt.

Die im Kulturkampf von der SPD vergessenen Arbeiter

Die Sozialdemokratie ist mitgefangen in diesem Abstieg, weil sie sich zum Büttel der Grünen gemacht hat in vielen Entscheidungen. Insbesondere im Kulturkampf haben die „Sozis“ vergessen, wer sie einst stark und mächtig gemacht hat: die fleißigen, lebensweltlich konservativen Arbeitnehmer, die weder für durchgeknallte Islamisten noch für Transgender-Aktivisten noch für faule Transferleistungsempfänger ein sonderlich großes Herz haben.

Der klassische Gewerkschafter ist ein bodenständiger, erzvernünftiger Zeitgenosse, der sich selten ein X für ein U vormachen lässt. Während Chef-Ökonomen von Ver.di gerne ein wenig Klassenkampf spielen, wollen die Schichtführer bei Porsche, die emsigen Dachdecker und auch die Aldi-Verkäuferin vor allem, dass sie besser gestellt sind als jene, die arbeitsfähig, aber bequem sind. Entweder die SPD wird wieder zur Partei, die auch diesen Menschen ein Angebot macht, oder die wandern noch entschiedener zur AfD und künftig wohl auch zur BSW.

Die CDU ist mit Abstand stärkste Partei geworden. Aber sie wäre wohl noch deutlicher gewachsen, wenn sie nicht mit Frau von der Leyen hätte plakatieren müssen. Sie verkörpert die ultragrüne Unionistin. Sie ist niemand, die an die AfD verlorene Milieus zurückholen könnte. Wer Merz und Linnemann will, kann mit einer von der Leyen eher wenig anfangen.

Die FDP ist trotz ihrer polemischen Spitzenkandidatin mit einem blauen Auge davongekommen. Sahra Wagenknecht verkörpert mit ihrem beeindruckenden Erfolg jenen Teil der Linken, der von den rot-rot-grünen Medieneliten weitgehend ignoriert wurde. Dass eine bourgeoise Witzpartei wie Volt so gut abschneidet, verdeutlicht auch, dass die privilegierten Eliten noch immer nicht im Ernst der Lage angekommen sind.

Die historische Verantwortung der Bürgerlich-Konservativen

Die AfD siegt auch ohne Spitzenkandidaten. Solange nach schrecklichen Anschlägen und Messermorden wie in Mannheim auf ritualisierte Art Verschärfungen in der Asyl- und Abschiebepraxis lediglich als Kulissenschieberei in der Berliner Republik arrangiert werden, hauen die Bürger mit dem Kreuz bei der AfD wütend auf den Tisch.

Auf europäischer Ebene sollte die bürgerliche EVP versuchen, auch konservative und rechte Parteien zur Koalitionsbildung anzusprechen: Es muss nun einen bürgerlichen Kurs in der Wirtschafts- und Migrationspolitik geben. Und das geht einfach signifikant besser und substanzieller mit einer Giorgia Meloni als mit diesen Sozialdemokraten (die wie in Spanien lost und abgewählt sind) oder mit den Grünen.

Europa rutscht nicht nach rechts, sondern (nach links-grünen Experimenten) zurück in eine Common-Sense-Mitte. Die Bürgerlich-Konservativen, angeführt von einem Friedrich Merz, haben nun die historische Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Wirtschaft und Migration nicht der Treibstoff werden, um rechtsradikale und rechtsextreme Parteien überall in Europa hoffähig zu machen.

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