18 Juni 2024

The Pioneer - Business Class Edition - Bürgergeld: 5 unbequeme Wahrheiten

Business Class Edition
Bürgergeld: 5 unbequeme Wahrheiten
Gabor Steingart, Dienstag, 18.06.2024
Guten Morgen,
Deutschland fällt zurück, heißt es allenthalben. In einem einzigen Bereich allerdings trifft diese Beschreibung nicht zu. Stichwort Wohlfahrtsstaat:
Auf diesem Feld ist Deutschland die globale Nummer eins. Unangefochten. Uneinholbar. Diese Zuwachsraten gibt es nirgendwo.

Ins Polemische gewendet könnte man auch sagen: Im 19. Jahrhundert haben die Deutschen das Automobil erfunden, im 20. Jahrhundert die Kernspaltung und im 21. Jahrhundert das Bürgergeld. Es ist heute die großzügigste Sozialleistung auf Erden, was von Kiew bis Kenia für Aufsehen sorgt, da diese milde Gabe an keine Nationalität gebunden ist. Das Zahlenwerk:
  • Fast 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger gibt es derzeit. Das sind so viele, wie die Bundesländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Saarland an Einwohnern zählen.

  • Im Januar und Februar dieses Jahres kostete das Bürgergeld jeweils 3,9 Milliarden Euro. Das würde hochgerechnet fast 47 Milliarden Euro an Kosten im Gesamtjahr ergeben. Zugeteilt wurde dem Bürgergeld im Zuge des Haushaltsplans 2024 lediglich ein Etat von 26,5 Milliarden Euro.

  • Rund 47,8 Prozent der Bürgergeldempfänger sind keine deutschen Staatsbürger. 13 Prozent der Bezieher stammen aus der Ukraine, 3,6 Prozent aus der Türkei und 9,2 Prozent aus Syrien.

    Das Bürgergeld hat ökonomische Folgen, die dem Land mittlerweile schwer zu schaffen machen und in der politischen Arena zu erhöhtem Pulsschlag führen. Am Mittwoch soll bei der Innenministerkonferenz in Potsdam der Versuch gemacht werden, eine Reform zu verabreden. Hier die fünf unbequemen Wahrheiten über das Bürgergeld, denen sich niemand verschließen sollte:

    # 1 Das Bürgergeld lädt zum Missbrauch ein

    Die im Vergleich zum früheren Hartz-IV-System abgeschwächten Sanktionsregeln, die starken Anhebungen der Regelsätze durch Inflationsausgleich und die höheren Grenzen für Vermögen und Wohnungskosten senken den Anreiz für Menschen, eine Arbeit aufzunehmen. Das erleben tausende von Unternehmern und bestätigt mittlerweile auch die Studie des Ökonomen Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

    Andere Studien kommen ebenfalls zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen. Während ukrainische Kriegsflüchtlinge in Ländern wie Polen oder Niederlande zu zwei Dritteln und mehr arbeiten, liegt der Anteil in Deutschland bei 19 Prozent, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts vom Dezember 2023 zeigen.

    Der Hintergrund: Seit Juni 2022 bekommen Ukrainer unbefristet den regulären Bürgergeld-Satz, der aktuell bei 563 Euro für alleinstehende Erwachsene liegt. Pro Kind gibt es Geld obendrauf. Auch die Wohn- und Nebenkosten werden übernommen. Mit dieser Regelung entzieht die Regierung dem deutschen Staat das Geld – und der ukrainischen Armee die Soldaten.

    # 2 Das Bürgergeld fördert die Teilzeit-Gesellschaft und die Schwarzarbeit

    Als Homo Oeconomicus berechnet jeder für sich, ob Kosten und Nutzen im Gleichgewicht stehen. Viele geringer Qualifizierte kommen zu dem Schluss: Am meisten nützt mir der Bezug von Bürgergeld mit einer zusätzlichen Teilzeit-Stelle. Die wird kaum besteuert und das Leben und die Wohnung finanziert der Staat.

    Auch die Aufstockung des Bürgergelds durch Schwarzarbeit ist durchaus attraktiv. Denn der Bürgergeldempfänger unterliegt keinen effektiven Kontrollen und kann seine Arbeitskraft dem irregulären Arbeitsmarkt Tag und Nacht zur Verfügung stellen. Auch in der Gastronomie und auf vielen Baustellen gilt das Motto: Don‘t ask, don‘t tell.

    Arbeitsexperte Friedrich Schneider von der Universität Linz schätzt, dass rund ein Drittel der erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher schwarz dazu verdient.

    Zur Erinnerung: Das Volumen der Schwarzarbeit in Deutschland wird jährlich auf 481 Milliarden Euro oder 11,3 Prozent der Wirtschaftskraft geschätzt. Es hat sich seit 2010 um rund 38 Prozent oder 133 Milliarden Euro gesteigert.

    # 3 Bürgergeld treibt die Durchschnittsmieten

    Die Behörden übernehmen die Wohnkosten von Bürgergeldempfängern und zahlen dafür oft überdurchschnittlich hohe Mieten. Das geht aus einer Studie des Pestel Instituts aus Hannover hervor, einem Wissenschaftsinstitut für die kommunale Wohnungswirtschaft. Matthias Günther, Geschäftsführer des Pestel Instituts:

    Wenn Jobcenter hohe Mieten akzeptieren, dann definiert es dadurch die Mieten im unteren Marktsegment. Durch die steigenden Mieten wird das Wohnen für alle teurer.

    Signifikante Großstadt-Beispiele nennt die Pestel-Studie auch:

  • In Hamburg zahlte die Behörde durchschnittlich 12,17 Euro pro Quadratmeter als Wohnkostenzuschuss – die Durchschnittsmiete lag bei 9,30 Euro.

  • In München zahlte das Amt 19,40 Euro pro Quadratmeter an Bürgergeldempfänger – die Durchschnittsmiete betrug 12,80 Euro.

Das heißt: Der Staat treibt die Mieten und befördert die Mietkonkurrenz auf dem leergefegten Wohnungsmarkt.

# 4 Der Staat tritt in Lohnkonkurrenz zur Privatwirtschaft

Das Bürgergeld ist eine Lohnersatzleistung, die dicht in der Nähe des Arbeitseinkommens angesiedelt ist und damit in die Lohnkonkurrenz zum privaten Sektor tritt:

  • Laut DGB erhält eine Familie mit zwei Kindern (acht und zwölf Jahre) und einem Alleinverdiener mit Mindestlohn von 12,41 Euro im Monat ein verfügbares Einkommen von 3.319 Euro.

  • Im Bürgergeld-Bezug würde dieselbe Familie bei einem Regelsatz von 1.292 Euro und einer Warmmiete von 832 Euro auf 2.624 Euro kommen. Die Differenz lässt sich mit geringem Aufwand im Schwarzmarkt auffüllen – oder besser noch übertreffen.

    Der frühere ifo-Präsident Prof. Hans-Werner Sinn sagt:

    Das Bürgergeld kostet wahnsinnig viel Geld und etabliert den Staat als Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt. Der Staat muss helfen, dass Menschen in die Wirtschaft kommen und nicht, dass sie Geld bekommen, ohne zu arbeiten.
    Marcel Fratzscher, Präsident des DIW und Befürworter des Bürgergeldes, fragt sich mittlerweile auch, „ob der Unterschied der Einkommen von arbeitenden und nicht arbeitenden Menschen zu gering ausfällt.“ Die Frage zu stellen, heißt, sie zu beantworten.

    # 5 Der Staat ignoriert den relativen Reichtum von Bürgergeldempfängern

    Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs gilt die sogenannte „Karenzzeit“, bei der das Jobcenter das Vermögen der Bürgergeldempfänger nur berücksichtigt, wenn es „erheblich“ ist. Ein Ehepaar besitzt laut Definition der Arbeitsagentur ab 55.000 Euro ein erhebliches Vermögen. Hierzu gehören Bargeld, Sparguthaben, Wertpapiere, aber auch Schmuck oder andere Wertgegenstände und Fahrzeuge.

    Das selbstgenutzte Wohneigentum wird bis zu einer bestimmten Größe in der „Karenzzeit“ und danach nicht als Vermögen berücksichtigt. Der Sozialverband Deutschland schreibt dazu an seine Mitglieder:

    Ist Ihr selbst genutztes Haus maximal 140 Quadratmeter groß (bei Eigentumswohnungen gelten 130 Quadratmeter), dürfen Sie dort wohnen bleiben. Sie müssen NICHT ausziehen, das Haus wird NICHT als Vermögen angesehen.

    Das heißt: Eine etwaige Wohnung würde in München – bei einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 8.156 Euro – einen Gegenwert von rund einer Million Euro besitzen und bliebe trotzdem dauerhaft unangetastet. Damit würden auch Eigentums-Millionäre das Bürgergeld bekommen.

    Fazit: Der Sozialstaat ist reformbedürftig – und das Bürgergeld vorne weg. Es wird Zeit, dass ein Kanzler mit dem Volk Klartext spricht, so wie es Gerhard Schröder bei der Einbringung der Agenda 2010 getan hat:

    Der Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung sind unabweisbar geworden. Dabei geht es nicht darum, ihm den Todesstoß zu geben, sondern darum, die Substanz des Sozialstaates zu erhalten. Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.


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