15 November 2023

Business Class Edition - Grüne in der Ampel: Falsche Partei zur falschen Zeit am falschen Ort

Business Class Edition
Grüne in der Ampel: Falsche Partei zur falschen Zeit am falschen Ort

Gabor Steingart, Dienstag, 14.11.2023

Guten Morgen,

Friedrich Merz hatte ihn bei Kanzler Olaf Scholz bestellt – aber Ministerpräsident Boris Rhein aus Hessen hat ihn geliefert: den Rausschmiss der Grünen aus der Regierung. Machtpolitisch ein Gruß aus der Küche.
Als wiedergewählter Ministerpräsident schickt er die Grünen nach zehn Jahren gemeinsamer Regierungszeit mit der CDU nach Hause. Er trete an für eine „Modernisierung mit den Menschen und nicht gegen sie“. So kühl begründete Rhein den Partnerwechsel.
Dieser für die Grünen schmerzhaften Demission liegt keine persönliche Antipathie zugrunde. Vielmehr drückt sich hier die Notwendigkeit aus, auf veränderte Wirklichkeiten zu reagieren. Oder wie der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes zu sagen pflegte:

"Ändern sich die Fakten, ändert sich meine Meinung".

Hier die fünf Gründe für die Trendumkehr in der Wahrnehmung der Grünen:

1. Die Grünen sind keine Kriegs- oder Aufrüstungspartei.

So sehr sie sich heute auch Mühe geben, aus Putins Aggression die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, so bleiben sie doch im Herzen eine pazifistische, eine romantische, eine antimilitaristische Partei. Ihre Gründerin hieß Petra Kelly, ihr Vorbild Gandhi. Die Gründergeneration skandierte auf allen Marktplätzen der Republik: „Petting statt Pershing”.
Auch den heutigen Grünen fehlen das machiavellistische Gen und das militärische Denken, weshalb sie zur Revitalisierung der Landesverteidigung und zum Aufbau einer europäischen Armee keinen originären Beitrag werden leisten können. Bundeswehrsoldaten und Polizisten wird man in den Reihen ihrer Funktionäre kaum finden. Den Geheimdiensten begegnen sie mit Misstrauen. Ihnen fehlt – kurz gesagt – die Absenderkompetenz für die Zeitenwende.

2. Die Grünen sind eine wachstumskritische Partei.

Sie sind aus der Kritik an der Wohlstandsgesellschaft entstanden. Wirtschaftswachstum und damit die systematische Vermehrung von materiellem Wohlstand sind nicht ihr Thema. Sie respektieren mittlerweile den Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard, aber sein geistiges Erbe haben sie nie angetreten. Sie verwahren seine Asche, nicht seine Glut.

Deshalb können sie sich zur Verbesserung der Angebotsbedingungen in Deutschland, also zum Bürokratieabbau, zu Steuersenkungen und einer Abkehr von der Verbotspolitik, nicht durchringen. Sie sind eine Partei des Staates, der nach moralischen Kategorien gestatten oder verbieten, begünstigen oder bestrafen soll. Gewinne und hohe Gehälter sind für sie nur dazu da, um sie zeitnah abzugreifen. Die Grünen sind die Hand, die immer nimmt.

3. Energiepolitik gegen die Physik

In der Energiepolitik erleben die Grünen vor aller Augen ihr Waterloo. Mit ihrer Fixierung auf Sonnen- und Windenergie und ihrer Ablehnung von Atomkraft, Gas und Kohle verschaffen sie der inländischen Wirtschaft einen Wettbewerbsnachteil, der nun mit aberwitzigen Milliardenbeträgen wegsubventioniert werden muss.

Für eine ausschließlich aus erneuerbaren Energien gespeiste Stromwirtschaft – die Grünen nennen sie die „all electric society“ – fehlen derzeit viele Bedingungen, technologisch, ökonomisch und vor allem physikalisch. Deshalb muss grundlastfähiger Strom im Ausland dazu gekauft werden. Deshalb baut man hektisch Flüssiggasterminals. Deshalb hat man eben erst die Reserve-Braunkohlekraftwerke wieder angeschmissen, damit, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, in Deutschland weiter unterrichtet, gearbeitet und geheizt werden kann.

4. Migrationspolitik gegen das Volk

In der Migrationspolitik regieren die Grünen vorsätzlich gegen die Mehrheitsmeinung. Diese Mehrheitsmeinung ist keineswegs humanitär unsensibel, aber sie ist politisch pragmatisch und vor allem ist sie ökonomisch geprägt. Sie fragt zuerst, was nutzt dem Land. Sie fragt nicht zuerst, was nutzt der Subsahara.

Überall im Westen folgt man der Devise, die der „Economist“ in dieser Woche mit „open, but orderly“ überschrieben hat: Offen, aber ordentlich. Die Migrationswende läuft an den Grünen – trotz mancher rhetorischer Geschmeidigkeit – vorbei. Selbst Joe Biden hat mittlerweile mehr Geld in die Mauer zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten investiert als Trump.

Die illegale Masseneinwanderung nach Westeuropa hat die Grünen von weiten Teilen der eigenen Bevölkerung entfremdet. Der Versuch, jeden, der für eine Begrenzung des Zuzuges plädiert, unter Rassismusverdacht zu stellen, kann politisch nicht funktionieren.

Apropos Rassismus: Es gibt Rassisten und es gibt Antisemiten. Und beides gibt es in nicht geringem Umfang, wie jeder in diesen Tagen erfahren kann, auch unter Migranten in Deutschland. Die objektive Bedrohung, der alles jüdische Leben in Deutschland derzeit ausgesetzt ist, wirft ein neues, ein düsteres Licht auf die Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre.

Die Instrumente, die jetzt geschärft werden müssen – von der gesteigerten geheimdienstlichen Aktivität bis zur Schnellabschiebung antisemitischer Straftäter – finden sich nicht im grünen Parteiprogramm. Vielleicht sind die Grünen die besseren Menschen. Aber die besseren Menschen können in einer bösen Welt viel Unheil anrichten. Auch Naivität kann töten, zum Beispiel jüdische Mitbürger.

5. Von der Inspiration zur Indoktrination

Die Grünen wollten die Menschen miteinander versöhnen und merken gar nicht, wie ihre Sprachcodes und Benimmregeln die Gesellschaft spalten. Die Übersteigerung des bereits Übersteigerten trägt nicht zur Beruhigung der Gesellschaft bei, sondern peitscht sie nur weiter auf.

Nicht das Lastenfahrrad, die vegane Ernährung oder das Gendern sind schlimm. Schlimm ist der Versuch, die eigene Überzeugung den anderen aufzwingen zu wollen. Was als Inspiration begann, wurde zur Indoktrination.

Fazit: Die Magie der Umweltpartei ist trotz allem nicht erloschen, ihre Mission noch nicht erfüllt: Die gequälten Kreaturen in den Tierfabriken warten auf Erlösung. Die Menschen in den Flüchtlingsquartieren können die ausgestreckte Hand der Grünen gut brauchen. Die Wirtschaft ist in all ihrer Geschäftigkeit auf kritische Gegenrede angewiesen.

Kurz und gut: Die Grünen gehören zu Deutschland.

Aber sie gehören in ihrem derzeitigen Zustand nicht in die Regierung. Der Umweltpartei ist das Schlimmste passiert, was einer Partei passieren kann: Sie ist die falsche Partei am falschen Ort zur falschen Zeit. Das ist die Botschaft aus Hessen.

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