29 August 2023

Indien investiert Milliarden in die Raumfahrt – und kassiert deutsche Entwicklungsgelder (WELT)

Indien investiert Milliarden in die Raumfahrt – und kassiert deutsche Entwicklungsgelder
Die Wirtschaft Indiens wächst rasant und das Land hat eigene Mond- und Mars-Missionen. Für die Armuts- und Klimawandelbekämpfung verlässt sich Delhi auf Entwicklungsgelder aus Deutschland. Hilfe, die Berlin noch einmal deutlich ausweitet. Die Bundesregierung verspricht sich davon Großes. Mit der erfolgreichen Landung auf dem Mond hat sich Indien endgültig als aufstrebende Wirtschaftsmacht etabliert. Die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt wächst jährlich um rund sieben Prozent und dürfte damit in den nächsten Jahren an Deutschland – derzeit auf Platz vier – vorbeiziehen. Umgerechnet rund 1,6 Milliarden US-Dollar fließen jährlich in die indische Raumfahrtbehörde ISRO, die technisch sehr anspruchsvolle Mondsonde samt Trägerrakete wurde in Indien entwickelt. Gleichzeitig ist das Land der größte Empfänger deutscher Entwicklungsgelder. Wie passt das zusammen?

Die Finanzierung von Entwicklungsprojekten in Indien hat eine lange Tradition. Schon in den 1950er- und 1960er-Jahren unterstützte die Bundesrepublik das damals bitterarme Land beim Bau von Industrieanlagen oder Brücken. Seitdem zählt Indien konstant zu den wichtigsten Empfängerländern. Im Jahr 2020 lag es mit Geldern in Höhe von knapp 580 Millionen Euro noch auf dem zweiten Rang hinter Syrien.

Seitdem ist die Zusammenarbeit noch einmal deutlich ausgebaut worden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der indische Ministerpräsident Narendra Modi unterzeichneten im Mai vergangenen Jahres eine „Partnerschaft für grüne und nachhaltige Entwicklung“, für die Deutschland bis 2030 insgesamt zehn Milliarden Euro aus verschiedenen Ministerien bereitstellen will. Im Rahmen der Partnerschaft vereinbarte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im November bilaterale Projekte im Umfang von einer Milliarde Euro für dieses Jahr.

Zählt man die nichtstaatliche Zusammenarbeit hinzu, etwa über kirchliche Träger oder politische Stiftungen, beläuft sich das Portfolio des BMZ in Indien auf rund elf Milliarden Euro. Gelder aus anderen Ministerien wie dem Auswärtigen Amt oder dem Wirtschaftsministerium kommen noch hinzu. Staatssekretär Jochen Flasbarth erklärte Indien kürzlich zum „wichtigsten Partner in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit“.

Laut einem Sprecher des Ministeriums werden die Milliarden überwiegend als Kredite über die staatliche Förderbank KfW zur Verfügung gestellt und sollen zu günstigen Konditionen verzinst zurückgezahlt werden. Zum Vergleich: Dem vom Bürgerkrieg erschütterten Land Syrien hat das BMZ im vergangenen Jahr rund 115 Millionen Euro zugesagt.

Allerdings läuft die Zusammenarbeit dort ausschließlich über nichtstaatliche Träger und wird nicht als Kredit, sondern als Zuschuss gezahlt. Die Bundesregierung begründet die riesigen Summen für Indien unter anderem damit, dass in dem Land noch immer die meisten armen Menschen der Welt leben.

In absoluten Zahlen stimmt das. Anteilsmäßig hat das bevölkerungsreichste Land der Welt die Armut aber deutlich reduzieren können – trotz des rasanten Bevölkerungswachstums. Gemessen am Global Multidimensional Poverty Index der Vereinten Nationen lag die Quote im Jahr 2005 bei 55 Prozent. Dagegen waren es im Jahr 2021 nur noch 16 Prozent. Insbesondere in den ländlichen Regionen haben sich die Lebensbedingungen der Menschen der Erhebung zufolge deutlich verbessert.

Das zweite Ziel der dortigen Entwicklungszusammenarbeit ist laut dem zuständigen Ministerium der Klima- und Umweltschutz. „Über 90 Prozent der BMZ-Vorhaben in Indien helfen, Treibhausgasemissionen einzusparen beziehungsweise unterstützen bei der Anpassung an den Klimawandel und stärken die Resilienz gegenüber seinen Folgen“, heißt es auf der Homepage des Ministeriums.

So finanziert Deutschland den Ausbau erneuerbarer Energien bis 2025 mit einer Milliarde Euro. In eine „Initiative zu agrarökologischer Landwirtschaft und nachhaltigem Ressourcenmanagement“ fließen in diesem Zeitraum 300 Millionen Euro. Weitere Schwerpunkte sind etwa nachhaltige Mobilität und Stadtentwicklung oder Energieeffizienz.

Pro Kopf nur ein Viertel der Emissionen

Zwar verzeichnete Indien im Jahr 2021 mit 2,7 Milliarden Tonnen CO2 die drittgrößten Emissionen weltweit. Pro Kopf gerechnet liegt das Land allerdings weit abgeschlagen auf Rang 29, mit einem Viertel der deutschen Emissionen. Dennoch sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf: „Die schwierigen Verhandlungen bei der Weltklimakonferenz haben deutlich gezeigt, dass wir mit herausgehobenen Partnern wie Indien konkret vorangehen müssen“, sagte Ministerin Schulze bei den bilateralen Verhandlungen im November.

Die Kooperation mit Indien ist Teil einer größeren Strategie des BMZ, mit wirtschaftlich aufstrebenden Ländern „an der Lösung globaler Zukunftsfragen“ zu arbeiten. Zu den sogenannten Globalen Partnern gehören neben Indien auch Brasilien, China, Indonesien, Mexiko, Peru, Südafrika und Vietnam. Zudem verspricht man sich im BMZ aus der Zusammenarbeit positive Effekte auf Drittländer, denen über eine Dreieckskooperation Expertise und Geld etwa für landwirtschaftliche Entwicklung zur Verfügung gestellt wird.

Deutschland ist mit mehr als 150 geförderten Projekten eines der größten Geberländer für solche Dreier-Partnerschaften. Kritik an diesem Ansatz kommt etwa von der Welthungerhilfe und dem Kinderhilfswerk Terres des hommes. In einer gemeinsam herausgegebenen Analyse fordern sie, dass Deutschland seine Entwicklungszusammenarbeit stärker an menschenrechtlichen Prinzipien ausrichten sollte.

So bekämen die ärmsten Länder trotz eines Rekordbudgets von mehr als 33 Milliarden Euro im vergangenen Jahr nicht genug Unterstützung von der Bundesrepublik. Angesichts des für 2024 voraussichtlich deutlich gekürzten BMZ-Haushalts und den langfristigen Förderzusagen für Indien dürfte sich das in den nächsten Jahren allerdings kaum ändern.

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