06 August 2023

Der andere Blick Falsche Kunden, fingierte Passanten: ARD und ZDF brauchen einen journalistischen Neustart (NZZ)

Der andere Blick
Falsche Kunden, fingierte Passanten: ARD und ZDF brauchen einen journalistischen Neustart (NZZ)
In den öffentlichrechtlichen Anstalten macht sich an vielen Stellen ein Bekehrungseifer breit, der dem Programmauftrag zuwiderläuft. Nicht nur der Fall einer Supermarktkundin, die sich als WDR-Mitarbeiterin entpuppte, zeigt: Eine Abkehr von der Ideologie ist bitter nötig.
Alexander Kissler,
Immer öfter aber sind die befragten Passanten interessierte Akteure, die ihre eigene Agenda als Volkes Stimme ausgeben. Da der öffentlichrechtliche Rundfunk die Rosstäuscherei entweder toleriert oder sogar inszeniert, verschärft eine solche fingierte Authentizität das Glaubwürdigkeitsproblem von ARD und ZDF. Die Sender erscheinen als Partei, wo sie Beobachter sein wollen.

Der WDR begeht einen doppelten Tabubruch

Soeben leisteten sich die deutsche «Tagesschau» und die «Tagesthemen» einen Lapsus der abgründigen Art. Sie sendeten einen Beitrag zur Aktion des Lebensmitteldiscounters Penny, der einige Produkte vorübergehend zum «wahren», nämlich um die Kosten der Umweltschäden erhöhten Preis anbietet. Die Berechnungsmethode mag sich zwischen Algebra und Kaffeesatzleserei bewegen, doch sie führte fast zur Verdopplung der Preise für ausgewählte Artikel.

Eine Kundin lehnte solche Beutelschneiderei ab, eine andere zeigte sich hingegen aufgeschlossen. So werde man zum Nachdenken angeregt. Schnell stellte sich heraus: Die umweltschutzbewegte Kundin war Mitarbeiterin des Westdeutschen Rundfunks, der den fraglichen Beitrag auch produziert hatte. Der WDR interviewte sich also selbst.

«Tagesschau» und «Tagesthemen» sind Abspielstationen vorproduzierter Beiträge aus ganz verschiedenen Redaktionen. Der WDR unter seinem alerten Intendanten Tom Buhrow ist für das jüngste Debakel verantwortlich. So wie es auch der WDR war, der im vergangenen Jahr in den «Tagesthemen» einen Redakteur die deutsche Energiepolitik kommentieren liess, der zugleich bei den Grünen auf kommunaler Ebene als Schriftführer aktiv war. Dass die Grenzüberschreitung in beiden Fällen dem grünen Umfeld zugutekam, ist symptomatisch. Die Brandmauer des öffentlichrechtlichen Rundfunks gegen linken Aktivismus hat Risse.

Davon zeugen vergleichbare Fälle, die zu häufig sind, als dass es sich um reinen Zufall handeln kann. Offenbar ist die weltanschauliche Schnittmenge von Aktivisten und Journalisten verführerisch gross.

Bereits im Oktober 2019 liess das ZDF eine grüne Bundestagsabgeordnete als vermeintlich zufällige Kundin in einem Bioladen zu Wort kommen. Die Parlamentarierin, über deren Status nicht aufgeklärt wurde, begrüsste den Verkaufsstopp für eine spezielle Hirse. Diese entstammte der Produktionsstätte eines AfD-Mitglieds.

Grüne Abgeordnete spielen gerne mit

Ebenfalls im ZDF wurde dreieinhalb Jahre später eine Passantin nach ihrer – durchaus positiven – Einschätzung zur damals autofreien Berliner Friedrichstrasse befragt. Dass es sich um eine grüne Landespolitikerin handelte, die die Massnahme der grünen Verkehrssenatorin guthiess, teilten die Macher nicht mit.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg wiederum fragte im September 2021 einen grünen Landtagsabgeordneten vor der Kamera nach seiner – natürlich positiven – Einstellung zu den neuen Radfahrwegen und verkaufte ihn als zufällig ausgewählten Radfahrer.

Gerade nun traten im RBB «einige Badegäste» auf, die die neuen Einlasskontrollen in Berlins Freibädern als schikanös und vorurteilsbeladen ablehnten. Unerwähnt blieb, dass die Befragten teils für die grüne Heinrich-Böll-, teils für die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung tätig sind. Die meisten Fälle haben wackere Social-Media-Nutzer aufgedeckt. Sonst wären die Verstösse gegen das journalistische Ethos vermutlich unerkannt geblieben.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass immer dann grün-linke Mandats-, Amts- oder Sympathieträger vorbeischlendern, wenn das öffentlichrechtliche Fernsehen seine O-Töne einholt. Von der anderen Seite des politischen Spektrums sind solche verdeckten Rollenkollisionen bis jetzt nicht bekannt. Auf jeden Fall wäre es die Pflicht der Journalisten, neben dem Namen auch die Funktion des jeweiligen Gegenübers abzufragen.

Rätselhaft bleibt der Fall der ausgabefreudigen Penny-Kundin. Die Entschuldigung des zuständigen Chefredaktors überzeugt kaum. «Im Supermarkt mit vielen Nebengeräuschen» sei es zu kommunikativen Missverständnissen gekommen. Vor dem Kühlregal geht es freilich leise zu, und weshalb nahm die WDR-Kollegin überhaupt an einer WDR-Umfrage teil?

Klimaaktivismus auf allen Kanälen

Das duale deutsche Rundfunksystem hat sich – alles in allem – bewährt. Die öffentlichrechtlichen Sender haben ihre Daseinsberechtigung, wenngleich es zu viele sind, sie zu hohe Kosten verursachen und es an Ausgewogenheit mangelt.

Die jüngsten Tabubrüche zeigen jedoch, dass derart plumper, derart einseitiger Aktivismus sich mit einem drakonisch eingetriebenen Pflichtbeitrag, der eine «Demokratieabgabe» sein will, nicht verträgt. So arbeiten die Sender ihrer Abschaffung zu.

Im Fernsehen des Hessischen Rundfunks outete sich unlängst eine Moderatorin explizit als Klimaaktivistin. Ausserdem umarmte, herzte und lobte Negah Amiri im Auftrag von HR und WDR ein Mitglied der Endzeitsekte Extinction Rebellion und sang dann in ihrem fast halbstündigen Werbeformat für die Letzte Generation und verwandte Bewegungen unter dem Titel «Sexy Klima-Aktivismus»: «Klimaaktivismus bringt mich zum Orgasmus.»

Nicht nur auf solche peinlichen Zuspitzungen sollte ein der Allgemeinheit verpflichteter und von ihr finanzierter Rundfunk künftig verzichten. Er braucht mehr Kompetenz und weniger Bekehrungseifer, mehr Zweifel und weniger grüne Propaganda, vor allem aber weniger Fake-Journalismus.

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