02 November 2025

Nach Hausdurchsuchung bei Welt-Kolumnist: Fall Bolz: Bundestags-Juristen belehren Ermittler (WELT+)

Berlin – Experten-Klatsche für die Berliner Ermittler im Fall Bolz

Nach Hausdurchsuchung bei Welt-Kolumnist:
Fall Bolz: Bundestags-Juristen belehren Ermittler (WELT+)
Erst die Empörung über die Hausdurchsuchung bei Welt-Kolumnist und Medienwissenschaftler Norbert Bolz (72) im Auftrag der Staatsanwaltschaft wegen eines Satire-Postings mit dem Satz „Deutschland erwache“ (Verdacht: Volksverhetzung!). Und nun müssen sich die Berliner Ermittlungsbehörden auch noch von Juristen des Bundestages belehren lassen!
Der „Wissenschaftliche Dienst“ des Bundestages hat sich – ohne den Fall konkret zu nennen – unmittelbar nach der umstrittenen Aktion den für den Fall Bolz relevanten Volksverhetzungs-Paragrafen 86a des Strafgesetzbuches (StGB) angesehen. Und die Haus-Juristen des Bundestages (beraten die Abgeordneten bei Gesetzen etc.) kommen zu dem Schluss: Wenn klar erkennbar sei, dass sich die Äußerung gegen Parolen des Nazi-Regimes richten („Heil Hitler“, „Hitlergruß“, Abbildungen von Hakenkreuzen oder SS-Runen), erübrige sich eine Strafverfolgung.

Fast das gesamte 2-Seiten-Papier der Bundestags-Juristen beschäftigt sich mit den Punkten, die gegen eine Strafverfolgung sprechen. Bolz-Anwalt Joachim Steinhöfel zu BILD:„Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat festgehalten, dass wegen der überragenden Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung das Strafgesetz einschränkend auszulegen ist. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch die Berliner Ermittlungsbehörden diese kluge Analyse zu Herzen nehmen.“
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärt in seinem Papier, es sei nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuches verboten, nationalsozialistische Symbole oder Parolen zu verwenden. Schon das Verwenden an sich könne strafbar sein, auch wenn es nicht in zustimmender oder werbender Art erfolge. Der Paragraf habe eine „Tabuisierungsfunktion“. Kennzeichen verbotener Organisationen sollen also im Alltag keine normale Rolle spielen.

Es gebe aber eine Einschränkung, heißt es in dem Papier weiter. Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit sei eine „verfassungskonforme restriktive Auslegung“ geboten. Werden entsprechende Symbole also in einer Weise verwendet, die nicht im Widerspruch zum sogenannten Schutzzweck des Paragrafen stehen, ist dies nicht automatisch strafbar. Gerichte und Staatsanwaltschaften müssten dafür im Einzelfall alle Umstände in Betracht nehmen.
Nicht strafbar sei der Gebrauch etwa, wenn damit „in offenkundiger und eindeutiger Weise“ die Bekämpfung der Ideologie zum Ausdruck gebracht werde. Deshalb sei es erlaubt, ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf einem T-Shirt zu tragen. Auch ein Symbol, auf dem ein Hakenkreuz in den Müll geworfen werde, sei nicht strafbar. Die Anforderungen an die Offenkundigkeit und Eindeutigkeit der gegnerischen Zielsetzung seien hoch, die Ablehnung müsse „auf Anhieb“ ersichtlich sein, heißt es in dem Dokument. Auf den Ausspruch „Deutschland erwache“ und den aktuellen Fall geht der Wissenschaftliche Dienst jedoch nicht ein.
Das schreiben die Bundestags-Juristen

FOCUS-Kolumne "Was wählst Du?" — "AfD." — "AfD? Aber du hast doch Migrationshintergrund"

FOCUS-Kolumne

"Was wählst Du?" — "AfD." — "AfD? Aber du hast doch Migrationshintergrund"
Jan Fleischhauer, Samstag, 01.11.2025,
Wir wissen, wie man im rot-grünen Lager über das Stadtbild denkt (alles in Ordnung). Aber wie denken Menschen, von denen es auf den Demonstrationen heißt, sie müssten vor Friedrich Merz geschützt werden?
Nach der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen führte eine Redakteurin von "Stern TV" eine Straßenumfrage unter Migranten zu ihrer politischen Haltung durch. Einer der Interviewten war ein junger Mann, der aus dem offenen Wagenfenster seines Mercedes bereitwillig Auskunft gab, Erscheinung und Akzent ließen auf einen türkischen Migrationshintergrund schließen. Es entspann sich folgender Dialog:
"Wen hast du gewählt?"

"AfD."
"AfD?"
"Kanaken raus."
"Aber mal ehrlich, hast du die AfD gewählt?"
"Natürlich."
"Warum?"
"Warum nicht?"
"Und was gefällt dir an dem Wahlprogramm der AfD?"
"Kanaken raus."
"Na, das meinst du ja nicht ehrlich. Du hast doch selbst Migrationshintergrund."
"Ich bin hier geboren und aufgewachsen."
"Und deine Eltern. Willst du, dass die rausmüssen?"
"Nee, die sind auch deutsche Staatsbürger. Ich meinte jetzt nur die Leute, die komplett Scheiße bauen."
"Und findest du, es ist ein Widerspruch, dass du Migrationshintergrund hast und die AfD gewählt hast?"
"Nein. Hat jeder seine eigene Meinung."

"Schluss! Die Grenzen, die müssen zubleiben. Deutschland ist voll."

Einem ähnlichen Austausch konnten einige Monate zuvor bereits Zuschauer des WDR-Magazins "Westpol" beiwohnen, die Szene fand ebenfalls über soziale Medien schnell Verbreitung. In dem Fall trat ein Redakteur des WDR auf zwei Männer an einer Dönerbude zu, um sie in ein Gespräch über die Spaltung der Gesellschaft zu verwickeln.

Exklusive Umfrage - „Spricht aus, was viele denken“ – Jeder zweite SPD-Anhänger stimmt Merz‘ „Stadtbild“-Aussage zu (WELT+)

Exklusive Umfrage
„Spricht aus, was viele denken“ – Jeder zweite SPD-Anhänger stimmt Merz‘ „Stadtbild“-Aussage zu (WELT+)
Von Alexander Dinger, Johannes Wiedemann, Philipp Woldin, Ricarda Breyton, 01.11.2025,
Der Unmut über Kanzler Merz‘ „Stadtbild“-Feststellung ist riesig – doch in der SPD-Basis ist die Zustimmung viel größer als die Ablehnung. In der Debatte über Sicherheit von Frauen wird seitens der Grünen die Warnung laut, das Problem nur im Migrationskontext zu verorten.
Die Einschätzung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), im Kontext der Migration gebe es ein „Problem“ im „Stadtbild“, erfährt bei Anhängern der SPD mehr Zustimmung als Ablehnung. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag von WELT AM SONNTAG. 50 Prozent der befragten SPD-Unterstützer stimmten der Aussage zu: „Die Stadtbild-Aussage ist kein Tabubruch und spricht lediglich aus, was viele denken.“
Das Gegenteil („Ist ein Tabubruch und verschiebt die Grenzen des Sagbaren nach rechts“) erklärten hingegen nur 29 Prozent der sozialdemokratischen Wähler für richtig. Für die neutrale Position „Weder noch“ entschieden sich 13 Prozent.
Dieses Stimmungsbild ist bemerkenswert, da die Merz-Äußerung beim Koalitionspartner der Union scharfe Kritik ausgelöst hatte. Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil warnte davor, „mit Sprache zu spalten“. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Fiedler, sagte vor einer Woche WELT AM SONNTAG: „Danke für nichts, Herr Bundeskanzler!“
In der Gesamtbevölkerung (2343 Befragte) teilt eine absolute Mehrheit die Wahrnehmung von Merz. 58 Prozent befürworten sie, 21 Prozent lehnen sie ab. Den stärksten Anklang registrierten die Demoskopen im Vergleich der Bundestagsparteien bei Anhängern von CDU und CSU (82 Prozent), dicht gefolgt von jenen der AfD (79 Prozent). Anhänger der Grünen (65 Prozent) und der Linkspartei (61 Prozent) lehnen die Aussage des Kanzlers mehrheitlich ab.